Talente zu erkennen und zu fördern, nimmt bei Unternehmen einen wichtigen Stellenwert ein. Allerdings können kognitive Verzerrungen die Entscheidungen ungünstig beeinflussen.

Eine Person, deren Gesicht man nicht sieht, blickt durch eine Lupe kleine Holzspielfiguren an, von denen eine rot bemalt ist
(Bild: ©istock.com/PanuwatDangsungnoen)

Ist Talent etwas, das wir alle haben? Oder ist es etwas, über das nur einige wenige von uns – sogenannte Ausnahmetalente – verfügen? Bereits 1997 erschien eine Publikation mit dem Titel «War for Talents» (dt. «Krieg um Talente»). Im Kern ging und geht es um den Fachkräftemangel und darum, wie Organisationen sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie Talente von aussen anziehen, diese im Kreise ihrer Mitarbeitenden identifizieren, sie weiterentwickeln und halten. Die Definition von Talent variiert von Organisation zu Organisation, meistens spricht man jedoch von «Mitarbeitenden mit herausragender Leistung und dem Potenzial, eine wichtige Position innerhalb der Firma zu übernehmen».

«Abkürzungen» als Stolperstein

In der Regel nominieren Vorgesetzte, basierend auf ihrer Leistungsbeurteilung, ausgewählte Mitarbeitende als Talente. Je nach den Besonderheiten der internen Prozesse zur Talentidentifizierung werden potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten anschliessend in einen Talentpool aufgenommen. Studien zeigen, dass bis zu 40 Prozent der Talentnominierungen scheitern. Warum? Es ist wichtig zu erkennen, dass die Entscheidungen (bis anhin) von Menschen getroffen werden. Menschen sind und handeln nicht immer rational. Durch mentale «Abkürzungen», zum Beispiel Kategorisierungen und Vereinfachungen, können wir viele Informationen zielgerichtet verarbeiten. Dieses evolutionäre Überbleibsel führt zwar zu schnelleren, aber nicht immer guten oder manchmal sogar diskriminierenden – also unbewusst verzerrten (engl. «biased») – Entscheidungen. Im Bereich des Personalmanagements verringern Entscheidungen, die als nicht objektiv wahrgenommen werden, die Zufriedenheit, das Vertrauen und die Motivation von Mitarbeitenden. Dies ist genau das Gegenteil dessen, was Organisationen durch Talentmanagement erreichen wollen.

Und genau hier setzt das sich in der Schlussphase befindende, vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Forschungsprojekt «Biases in Talent Identification» unter der Leitung von Bruno Staffelbach, Professor für Betriebswirtschaftslehre, an. In diesem wird untersucht, ob die Entscheidung von Vorgesetzten, Mitarbeitende als Talent zu identifizieren, von Faktoren beeinflusst wird, die eigentlich keine Rolle spielen dürften, und wie sich diese Entscheidungen auf die Mitarbeitenden auswirken. Dafür wurden in einer Organisation über einen Zeitraum von drei Jahren knapp 600 Mitarbeitende aus Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien befragt und qualitative Interviews mit Personen aus Talentpools geführt.

Unter anderem zeigt sich Folgendes:

  • Altersdiskriminierung – gehört die Zukunft der Jugend?

Je jünger die Mitarbeitenden sind, desto eher werden sie als Talente identifiziert. In der untersuchten Stichprobe sank die relative Wahrscheinlichkeit, in einen Talentpool aufgenommen zu werden, um 5–6 Prozent, wenn das Alter um ein Jahr anstieg.

  • Der erste Eindruck zählt

Menschen tendieren dazu, die erstgenannte Information als «Anker» für künftige Einschätzungen zu nehmen (beispielsweise kreisen Lohnverhandlungen um die erstgenannte Zahl; sogenannter «anchor bias») und den Eindruck einer Eigenschaft einer Person auf ihre sonstigen Qualitäten zu übertragen (sogenannter «halo effect»). Entsprechend hat die aktuelle Studie gezeigt, dass die Einschätzung der bisherigen Leistung einerseits die Einschätzung der künftigen Leistung und andererseits die Einschätzung des Potenzials von Mitarbeitenden beeinflusst.

  • Gleich und gleich gesellt sich gern

Menschen bevorzugen oft Personen, die ihnen ähnlich sind, da Ähnlichkeiten eine einfachere Kommunikation ermöglichen und das Verständnis fördern. So deutet die aktuelle Studie darauf hin, dass diejenigen Personen, die von ihren Vorgesetzten als generell am ähnlichsten wahrgenommen wurden, eher in Talentpools zu finden sind.

  • Einzigartige Fähigkeit – du kannst, was ich nicht kann

Wenn wir denken, dass eine Person über eine uns fehlende Fähigkeit verfügt, kann dies dazu führen, dass wir sie als kompetenter wahrnehmen – auch wenn diese Fähigkeit nicht zwingend relevant ist. In der vorliegenden Stichprobe wurden Mitarbeitende, deren Muttersprache nicht zu denen gehört, welche ihre Vorgesetzte oder ihr Vorgesetzter fliessend spricht, eher als Talente eingestuft.

  • Hoch motiviert … um zu kündigen?

Obwohl das Ziel der Talentanerkennung in der Regel darin besteht, wertvolle Mitarbeitende zu motivieren und zu halten, wirkt sich der Talentstatus auf die Mitarbeitenden unterschiedlich aus. Die Reaktionen reichen von verstärktem Engagement bis hin zu klaren Kündigungsabsichten. Der Hauptgrund für die Unzufriedenheit ist Unklarheit über die gegenseitigen Erwartungen.

Objektive Instrumente entwickeln

Die Resultate demonstrieren, wie selbst gut strukturierte Entscheidungsprozesse in Organisationen durch unbewusste Verzerrungen beeinflusst werden können. Aus solchen Fehlentscheidungen können Ungleichheiten resultieren, sie können das Arbeitsklima gefährden und dazu führen, dass hochqualifizierte Mitarbeitende zur Konkurrenz abwandern. Daher ist es von grosser Bedeutung, Personalentscheidungen sorgfältig zu evaluieren und nach Objektivität zu streben. Das Unterbewusste bewusst zu machen und objektive, transparente Instrumente zu entwickeln, kann helfen, verzerrte Entscheidungen zu vermeiden und eine fairere Personalführungspraxis zu fördern.

Foto Naemi Jacob

Naemi Jacob

Doktorandin und wissenschaftliche Assistentin am Center für Human Resource Management (CEHRM); Projektmitarbeiterin (operative Projektleitung)
www.unilu.ch/naemi-jacob

Foto Marina Pletscher

Marina Pletscher

Doktorandin und wissenschaftliche Assistentin am CEHRM; Projektmitarbeiterin
www.unilu.ch/marina-pletscher​​​​​​​