Politische Einstellungen: immer tiefere Gräben?
Polarisierung in der Politik: Zu diesem Thema kann Dr. Denise Traber, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds, ein eigenes Forschungsprojekt durchführen. Die Politikwissenschaftlerin hat dafür die Universität Luzern ausgewählt.
Seit einigen Jahren werden in europäischen Ländern zunehmend Wahl- und Abstimmungskämpfe mit komplett unversöhnlichen Lagern beobachtet, wie beispielsweise beim Brexit-Referendum oder bei den französischen Präsidentschaftswahlen. Ideologische Gegensätze bei politischen Entscheidungen und Kampagnen scheinen zuzunehmen. Aber bedeutet dies auch, dass die politischen Einstellungen in der Bevölkerung gegensätzlicher werden? Und sind die politischen Spaltungen ein kurzfristiges Phänomen oder Teil eines längerfristigen gesellschaftlichen Trends? Dies möchte Dr. Denise Traber im Rahmen ihres Projekts "The Divided People: Polarization of Political Attitudes in Europe" herausfinden.
Forschungsinteresse: soziale Gruppen
Dabei interessiert sich die Politikwissenschaftlerin vor allem für die Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Seit Ende des 20. Jahrhunderts seien in Europa grundlegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zu beobachten, so Traber. "Die Immigration nach und innerhalb Europas verändert die Zusammensetzung der Gesellschaften; die zunehmende ökonomische Ungleichheit hat Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Status der Bürgerinnen und Bürger." Diese Veränderungen hätten jedoch nicht für alle dieselben Auswirkungen: Menschen mit unterschiedlicher beruflicher Stellung oder Ausbildung beispielsweise seien davon nicht gleich betroffen. Denise Traber: "Ich erwarte, dass sich die 'Gewinnerinnen' und 'Gewinner' und die 'Verliererinnen' und 'Verlierer' dieser Entwicklungen über die Zeit in ihren politischen Einstellungen stärker unterscheiden, dass also eine Polarisierung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen stattfindet."
Was aber bedeutet es für die Zukunft der Demokratie, wenn die Gräben immer tiefer werden? Wie wirkt sich die Polarisierung auf die politische Partizipation aus? Hat sie einen mobilisierenden Effekt? Oder führt sie eher dazu, dass gewisse Gesellschaftsgruppen sich nicht mehr vertreten fühlen und sich deshalb auch nicht mehr politisch beteiligen? Diese wichtigen – und noch wenig erforschten – Fragen wird Dr. Traber in einer vergleichenden Studie, basierend auf Umfragedaten aus mehr als 20 europäischen Ländern, untersuchen.
Zunächst Parteien im Fokus
In ihrer bisherigen Forschung befasste sich die Politikwissenschaftlerin mit den Folgen der Polarisierung des Parteiensystems in der Schweiz. Die politische Polarisierung sei in der Schweiz seit vielen Jahren spürbar und habe die nationale Politik grundlegend verändert. Ausserdem beschäftigte sie sich in vergleichenden Studien damit, wie sich wirtschaftliche Veränderungen – insbesondere die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise – auf den Parteienwettbewerb und die Positionen der Parteien in Europa auswirken. "Dabei ist mir aufgefallen, dass wir erstaunlich wenig darüber wissen, ob und in welcher Form sich auch die politischen Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger verändert haben", sagt Traber.
Im Gegensatz zu den USA, wo die Polarisierungsforschung mittlerweile einen grossen Forschungszweig darstelle, gebe es in Europa nur wenige Langzeitstudien zur Polarisierung von politischen Einstellungen. "Auch überrascht hat mich, dass diese Studien, die sich meist auf einzelne Länder fokussieren, im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung eher eine zunehmende ideologische Konvergenz feststellen, also eine grössere Übereinstimmung innerhalb der Bevölkerung", so Traber. Einen Grund für diese widersprüchlichen Befunde sieht sie darin, dass die Polarisierung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen in Europa bislang wenig Beachtung gefunden hat.
Unterstützung durch Drittmittel
Das Forschungsprojekt, das zur Stärkung der Polarisierungsforschung in Europa beitragen möchte, wird durch einen Ambizione-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert. Dieser ermöglicht jungen Forschenden die Durchführung und Leitung eines eigenen Projekts an einer Schweizer Hochschule freier Wahl. Denise Traber gehört zu denjenigen 27 Forscherinnen und Forschern, die sich bei der jüngsten Ausschreibung aus total 83 im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften eingereichten Gesuchen durchsetzen konnten. Sie führt ihr Anfang Jahr gestartetes Projekt am Politikwissenschaftlichen Seminar am Lehrstuhl von Prof. Dr. Alexander Trechsel durch. Die bewilligte Fördersumme für die auf vier Jahre angelegte Studie beträgt rund 523’000 Franken.
Weshalb hat sich Denise Traber für die Universität Luzern entschieden? "Mir gefällt der interdisziplinäre Charakter der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät." Auch ihr eigenes Forschungsprojekt kombiniere politikwissenschaftliche, soziologische und sozialpsychologische Ansätze. Ausserdem reize sie die dynamische und internationale Ausrichtung des Politikwissenschaftlichen Seminars und der Austausch mit dem Team von Prof. Trechsel, mit demjenigen des Seminars und mit weiteren Mitgliedern der Fakultät.