Leihmutterschaft im deutschsprachigen Raum

Leihmütter tragen im Auftrag von Wunscheltern Kinder aus – das ist hierzulande verboten. Dr. Anika König beschäftigt sich an der Universität Luzern und der Freien Universität Berlin mit diesem kontroversen Thema und gibt hier Einblick in ihr Habilitationsprojekt.

Dr. Anika König.

Leihmutterschaft ist das Austragen eines Kindes durch eine sogenannte Leihmutter, die es nach der Geburt den Auftrag gebenden Eltern übergibt. Die heutzutage gängigste Form der Leihmutterschaft ist die Tragemutterschaft. Hier wird ein durch die In-vitro-Fertilisation von Keimzellen der Wunscheltern (oder gespendeter Zellen) entstandener Embryo der Leihmutter implantiert, die somit genetisch mit dem Kind nicht verwandt ist.

Ausweichen ins Ausland

Die Gesetzeslage im gesamten deutschsprachigen Raum gehört zu den restriktivsten weltweit und verbietet die Leihmutterschaft sowie die in manchen Fällen in diesem Zusammenhang ebenfalls notwendige Eizellspende rigoros. Daher weichen Wunscheltern ins Ausland aus, um dort eine Leihmutterschaft in Auftrag zu geben. Die wichtigsten Ziele für diese Form des "reproduktiven Reisens" sind einige Staaten der USA sowie eine Reihe osteuropäischer und asiatischer Länder (z.B. Kalifornien, Georgien und Ukraine, Indien und neuerdings vermehrt auch Thailand).

Mein Forschungsprojekt "Leihmutterschaft in transnationaler Perspektive. Eine medizinethnologische Untersuchung sozialer Elternschaft im deutschsprachigen Raum" widmet sich diesem in dieser geografischen Gegend bis anhin nicht untersuchten Thema. Das Projekt ist am Center for Area Studies der Freien Universität Berlin sowie seit Mai dieses Jahres als Habilitationsprojekt am Ethnologischen Seminar der Universität Luzern am Lehrstuhl von Prof. Dr. Bettina Beer angesiedelt.

Tabuisierung und Verurteilung 

Die Wunscheltern sind häufig Menschen, die auf anderem Weg keine Kinder bekommen können und/oder von Adoptionsverfahren ausgeschlossen sind (z.B. wegen vorheriger Erkrankungen, sexueller Orientierung oder auch ihrem Alter). Für viele von ihnen ist eine Leihmutterschaft die einzige Möglichkeit, eine Familie gründen oder vergrössern zu können. Aufgrund der Gesetzeslage sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und Österreich bewegen sie sich jedoch in einer juristischen Grauzone, die von Angst, Tabuisierung und gesellschaftlicher Verurteilung geprägt ist.

Das Forschungsprojekt setzt bei den Wunscheltern an und begleitet sie vor, während und nach der Durchführung ihrer Leihmutterschaft. Eines der wichtigsten Ziele ist hierbei, den Wunscheltern in die entsprechenden Zielländer zu folgen und dort die anderen an der Leihmutterschaft Beteiligten – Leihmutter, Ärzte, Anwälte, Agenturpersonal usw. – in die Untersuchung einzubeziehen. So sollen die transnationalen Netzwerke dieser Reproduktionstechnologie weniger quantitativ aufgezeigt, sondern vor allem qualitativ untersucht werden.

Miteinbezug auch der Sicht der Leihmütter

Wichtige Fragen auf der deskriptiven Ebene sind: Was sind die ausschlaggebenden Gründe für eine Entscheidung zur Durchführung einer Leihmutterschaft? Wie informieren und vernetzen sich die Wunscheltern? Wie werden die Agenturen, Kliniken und Leihmütter ausgewählt? Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen den verschiedenen Beteiligten, insbesondere Wunscheltern und Leihmüttern? Wie sehen Leihmütter ihre Situation und ihre Rolle? Und welche Situation entsteht daraus für die Kinder? Auf einer abstrakteren Ebene sind Fragen von Interesse, die sich mit Familie und Verwandtschaft beschäftigen, und damit, was dies für unsere Gesellschaft allgemein bedeutet: Welche Rolle spielt die Familie in ihren verschiedenen Formen in unseren heutigen Gesellschaften? Und warum gibt es vielerorts so grosse Schwierigkeiten, alternative und neue Formen von Reproduktion und Familie zu akzeptieren? Und sind diese neuen Formen von Reproduktion und Familie vielleicht gar nicht so neu?

Sowohl die In-vitro-Fertilisation als auch die Gametenspenden und Leihmutterschaft sind aus modernen medizinischen Reproduktionsverfahren nicht mehr wegzudenken. Das hier vorgestellte Projekt möchte zu einem besseren Verständnis der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Technologien beitragen.

 

Quelle: uniluAKTUELL, das Magazin der Universität Luzern, Ausgabe 48, September 2014.
Artikel als pdf downloaden