Forschung zu religiösen Frauengemeinschaften

An der Theologischen Fakultät haben im Frühjahrssemester 2015 die Arbeiten am neuen Forschungsprojekt "Diakonissen und Ordensschwestern im 20. Jahrhundert in der Schweiz" begonnen. Das Projekt steht im Zeichen der "oral history". 

Karitatives Engagement: Szene aus dem Krankenheim Engelberg, das die Luzerner St. Anna-Schwestern bis 1966 führten. (Bild: Archiv Gemeinschaft St. Anna-Schwestern)

"Diakonissen und Ordensschwestern im 20. Jahrhundert in der Schweiz" ist auf drei Jahre angelegt und wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziell gefördert. Zum Forschungsteam gehören die Historikerin Esther Vorburger-Bossart und Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte, sowie eine Doktorandin und wissenschaftliche Hilfskräfte, deren Stellen demnächst zu besetzen sind. Ziel ist die alltags- und frömmigkeitsgeschichtliche Erhebung von Informationen zum Leben religiöser Frauen in evangelischen und katholischen Gemeinschaften sowie die Formulierung biografiegeschichtlicher Gesamtsichten.

Mehrere Dutzend Interviewpartnerinnen

Grundlage soll die Auswertung qualitativer Daten bilden, welche mit Hilfe leitfadengesteuerter Interviews gewonnen werden. Zu diesem Zweck führen die Mitglieder der Projektgruppe Gespräche mit mehreren Dutzend Diakonissen und Schwestern, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihren Gemeinschaften Aufgaben in Schule, Krankenpflege oder Sozialarbeit übernahmen. Die Ergebnisse werden es möglich machen, Konsequenzen von Entkonfessionalisierung und Entkirchlichung sowie die dadurch induzierte verstärkte Binnenorientierung aus religionsgeschichtlicher Perspektive zu beschreiben und zu verstehen. Auf diese Weise soll auch ein Beitrag geleistet werden zur historischen Erfassung einer einschneidenden Epoche in der Geschichte der kirchlichen Frauengemeinschaften insgesamt, die bestimmt war von vielfältigen Anpassungsprozessen, aber auch von Bedeutungsverlust und stark rückläufigen Mitgliederzahlen.

Die Fragestellung entstand aus der Bearbeitung eines in den Jahren 2010 bis 2013 durchgeführten, ebenfalls vom SNF geförderten Projekts zum Thema "Religiöse Frauengemeinschaften in der Ostschweiz im 20. Jahrhundert". Untersucht wurden darin die sozialen und karitativen Aktivitäten von Frauen in Gemeinschaften und Kongregationen in Beziehung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und zu deren Entwicklung. Es ergaben sich vielfältige Aufschlüsse zu den Zusammenhängen zwischen sozialem Engagement und spezifisch weiblichen Identitäten im Bereich des Religiösen. Die Ergebnisse werden im laufenden Jahr im Theologischen Verlag Zürich publiziert.

Abnehmende Zahl der Zeitzeuginnen

Die Arbeit an diesem ersten, kulturgeschichtlich ausgerichteten Projekt machte deutlich, dass die Auswertung schriftlicher Überlieferungen gute Voraussetzungen schafft, um institutionelle Aspekte der Gemeinschaften und die Entwicklung ihrer religiösen Profile zu beschreiben. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Untersuchung von Textdokumenten nicht ausreicht für die Bearbeitung subjekt- und alltagsgeschichtlicher Fragestellungen in diesem Bereich. Um Identitätsprofile biografisch zu erfassen und zu vergleichen, ist es vielmehr notwendig, zusätzliche Quellen zu erschliessen, was im neuen Projekt nun mit Hilfe von "oral history" geschehen soll. Unter den aktuellen Bedingungen ist ein Vorhaben dieser Art nur noch während begrenzter Zeit möglich, da die Zahl der erreichbaren Zeitzeuginnen aus der relevanten Epoche rasch abnimmt. Die Arbeit am neuen Forschungsprojekt verspricht wiederum vielseitige Aufschlüsse zu Veränderung von Religiosität in der Nachkriegszeit.

 

Quelle: uniluAKTUELL, das Magazin der Universität Luzern, Ausgabe 51, April 2015.
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