Doc.CH-Forschung zu Buddhismus und Empathie
Erfolg für Andrea Zimmermann und Manuel Camassa: Ihre Dissertationsprojekte in den Disziplinen Religionswissenschaft und Philosophie werden mit einem Doc.CH-Beitrag unterstützt.
Manuel Camassas Forschungsvorhaben trägt den Titel "The Shared World. On the Power and Limits of Empathy" (dt. "Die geteilte Welt. Über die Macht und die Grenzen der Empathie"). Seine Doktorarbeit wird betreut von Prof. Dr. Martin Hartmann, Professor für Philosophie, mit Schwerpunkt Praktische Philosophie. Andrea Zimmermann befasst sich in ihrer von Prof. Dr. Martin Baumann, Professor für Religionswissenschaft, betreuten Doktorarbeit mit dem Thema "Von Träumen, Tempeln und Tränen. Zur Bedeutung buddhistischer Religiosität im Alltag thailändischer Heiratsmigrantinnen in der Schweiz".
Für die beiden Projekte hat der Schweizerische Nationalfonds (SNF) bei einer Laufzeit von vier resp. dreieinhalb Jahren Unterstützungsbeiträge von total gegen 440'000 Franken gesprochen. Dies im Rahmen des Förderinstruments Doc.CH, das sich an vielversprechende Nachwuchsforscherinnen und -forscher in den Geistes- und Sozialwissenschaften an in der Schweiz richtet. Bei der aktuellen Ausschreibung gingen gesamthaft 92 Gesuche ein, wovon 25 bewilligt wurden.
Euphorie gerechtfertigt?
Am Anfang von Manuel Camassas Überlegungen steht die Feststellung, dass die Empathie-Thematik in den letzten 20 Jahren immer mehr in Mode gekommen ist: "Die Forschung zu diesem Begriff nimmt stetig zu, und der Stellenwert der Empathie wird in diversen Bereichen als grundlegend eingestuft." Selbst ein so wichtiger Entscheidungsträger wie der frühere US-Präsident Barack Obama habe in einer Rede die Rolle der Empathie für eine friedliche Welt als essenziell herausgestrichen. Und der bekannte britische Psychologe Simon Baron-Cohen sieht in der Empathie nicht weniger als die Basis der menschlichen Moral. "Doch ist diese generelle Begeisterung gerechtfertigt?", fragt Camassa. In seiner Arbeit wolle er aufzeigen, dass Empathie einige unüberwindliche Grenzen aufweise, die sie als Grundprinzip der Moralität – wie von Baron-Cohen behauptet – ungeeignet mache. Gleichzeitig gelte es anzuerkennen, dass Empathie tatsächlich eine wirksame Hilfe für die Moral darstellen könne. "Das Hauptziel und zugleich die grösste Herausforderung meiner Doktorarbeit besteht darin, den ethischen Status der Empathie zu bestimmen." Auf dem Weg hierhin möchte Manuel Camassa, der seinen Bachelor in Pisa/IT und seinen Master an der Universität Luzern erlangte, einen interdisziplinären Ansatz verfolgen und neben philosophischen Argumenten auch Erkenntnisse aus verschiedenen Feldern der Psychologie und aus den Neurowissenschaften beiziehen. Zudem ist ein Austausch mit dem Institut für Philosophie an der Freie Universität Berlin vorgesehen.
Bedeutung von Religiosität im Alltag
Interkulturelle Familien wie auch bireligiöse Paare finden hierzulande in der Forschung kaum Aufmerksamkeit, konstatiert Andrea Zimmermann. In ihrem Dissertationsprojekt legt sie den Fokus auf aus Thailand stammende Heiratsmigrantinnen, die seit den 1970er-Jahren zunehmend nach Europa wie auch in die Schweiz kommen. "Viele Thai-Frauen haben den Traum, durch eine Heirat mit einem Ausländer fernab der Heimat ein mehr oder weniger sorgloses Leben zu führen. Doch die Realität, die sie hier vorfinden, sieht vielfach anders aus." Bisherige Studien hätten gezeigt, dass thailändische Migrantinnen – nebst ihren oft illusorischen Vorstellungen vom Leben in der Fremde – mehrheitlich ungenügend ausgebildet und mit der hiesigen Sprache und Kultur nur wenig vertraut sind, fasst Zimmermann zusammen. Hinzu kommt ein entscheidendes Element, das sie im Rahmen von Vorarbeiten für das Dissertationsprojekt recherchierte: "Thai-Frauen in der Schweiz leben relativ isoliert, ihre sozialen Kontakte beschränken sich vielfach auf die Thai-Community. Verschiedene thai-buddhistische Institutionen bieten ihnen wichtige Plattformen – auch über den rein religiösen Kontext hinaus -, um den Alltag in der Schweiz zu bewältigen." Ziel des Projekts sei es, mittels ethnografischen Methoden die Bedeutung buddhistischer Religiosität im Alltag dieser Heiratsmigrantinnen zu erforschen. Es ist vorgesehen, einen Austausch mit Forschenden des neuen universitären Forschungsschwerpunkts "Wandel der Familie im Kontext von Migration und Globalisierung" zu pflegen.
Erfolgreiche Anschubfinanzierung
Die erwähnten Vorarbeiten leistete Andrea Zimmermann während eines Jahres in einem Teilzeitpensum, und zwar mithilfe einer mit 28'000 Franken dotierten Anschubfinanzierung der Graduate School of Humanities and Social Sciences (GSL), dem strukturierten Doktoratsprogramm an der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät (Newsmeldung vom 22. März 2016). Ziel dieses Instruments ist es, aussichtsreichen Nachwuchsforschenden finanziellen Spielraum zu verschaffen, damit sie einen Förderantrag für eine Drittmittelinstitution, wie nun dem SNF, ausarbeiten und einreichen können, um so – bei positivem Bescheid – auf entlöhnter Basis promovieren zu können.
Prof. Dr. Martin Baumann, der Betreuer von Zimmermanns Arbeit, sagt dazu in seiner Funktion als Prorektor Forschung: "Nicht nur erwachsen aus den Förderinstrumenten und der guten Betreuung an der Universität Luzern hochtalentierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Auch vermögen sich diese jungen Forschenden in einem hoch kompetitiven Feld auf nationaler Ebene zu behaupten." Bei Zimmermanns Projekt handelt es sich um eines von aktuell 14 bewilligten Doc.CH-Projekten in den Geisteswissenschaften; in dieser Sparte waren 49 Gesuche eingegangen.
Darüber, dass die Anschubfinanzierungen zum gewünschten Ziel führen, zeigt man sich auch bei der GSL erfreut: "Dies gerade zumal es sich um einen wiederholten Erfolg handelt", wie deren wissenschaftliche Geschäftsführerin Dr. Christina Cavedon betont, hatten doch bereits im Vorjahr zwei mit einer Anschubfinanzierung geförderte Kandidaten beim SNF reüssiert. Vor diesem Hintergrund ermutige sie alle jungen Forschenden, die sich überlegen, an der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät zu doktorieren, sich für die Anschubfinanzierung im kommenden Herbstsemester zu bewerben. Die Anschubfinanzierungen werden ab Mai online ausgeschrieben.
Per 1. April 2017 sprach die GSL eine weitere Anschubfinanzierung. Diese geht an Valeska Cappel (Soziologie; Betreuung: Prof. Dr. Rainer Diaz-Bone). Cappels Dissertationsprojekt trägt den Titel "Big Data – ein häretischer Angriff auf das Gesundheitsfeld? Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des E-Health-Gesetzes in Deutschland und der Schweiz".
Hintergrund ist der Umstand, dass sich der Einfluss zahlenbasierten Wissens im Gesundheitssystem erhöht und Akteurinnen und Akteure zunehmend selbst gesundheitsbezogene Daten erheben. Cappel: "Ich gehe ich in meinem Projekt der Frage nach, welche Bedeutung diesem neuen Datenwissen im Gesundheitsfeld zugeschrieben wird und wie sich Aushandlungsprozesse bezüglich gesundheitlicher Selbstvermessungstechniken auf die Wissensordnung und Handlungsentwürfe innerhalb des Gesundheitssystems auswirken."
Quelle: Fokus Forschung, 12. April 2017
Auch publiziert in: uniluAKTUELL, das Magazin der Universität Luzern, Ausgabe 59, Mai 2017, S. 10–11.
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