"Big Data": Forschung im Auftrag des Bundesrats

Wie kann Herausforderungen im Zusammenhang mit grossen Datenmengen begegnet werden? Diesen Fragen gehen zwei Forscherinnen der Universität Luzern mit ihren Teams im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogramms auf den Grund.
Die Projektleiterinnen PD Dr. Mira Burri (l.) und Ass.-Prof. Sophie Mützel, PhD. (Bild: Dave Schläpfer)

Schöner Erfolg für Mira Burri und Sophie Mützel: Der Forschungsrat des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) hat die Projekte der beiden Luzerner Wissenschaftlerinnen im November 2016 genehmigt. PD Dr. Mira Burri, Dozentin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, und Ass.-Prof. Sophie Mützel, PhD, Assistenzprofessorin für Soziologie mit Schwerpunkt Medien und Netzwerke, sind damit Teil eines schweizweiten Verbunds aus 36 Teams. Dieses forscht im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 75 (NFP 75) zwischen 2017 und 2022 zu "Big Data".

Das Thema hat der Bundesrat festgelegt; mit dem total 25 Mio. Franken an Fördergeldern umfassenden, vom SNF durchgeführten Programm soll ein "wissenschaftlich fundierter Beitrag zur Lösung eines dringenden Problems von nationaler Bedeutung" geleistet werden.

Exponentielle Zunahme

Der Hintergrund: Die jährlich erzeugte Masse an digitalen Daten nimmt exponentiell zu. Die Rede ist dabei von "Big Data", Datensätze mit riesigem Umfang und enormer Komplexität, die zudem laufend aktualisiert werden. Quellen stellen u.a. jede Form von elektronischer Kommunikation (bspw. in Sozialen Medien) dar, Suchanfragen, Einlogdaten von Mobiltelefonen, Daten aus Kreditkarten-Transaktionen, von Überwachungskameras, vernetzten Systemen in Haus und Auto, Navigationssystemen und Fitness-Armbändern oder aber etwa durch Behörden und Unternehmen vorgenommene Sammlungen.

Aus dieser immensen Datenflut erwarten Expertinnen und Experten tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft. Zum einen wird der praktische Nutzen von «Big Data» hervorgehoben, etwa im Bereich des Marketings, der Medizin, der Verkehrsplanung sowie des Katastrophen- und Notfallschutzes. Zum anderen gehen damit verschiedene Herausforderungen und Risiken einher, allen voran die mögliche Beeinträchtigung der Privatsphäre und die Gefahr von Entsolidarisierung und Diskriminierung, etwa vor dem Hintergrund personalisierter Versicherungsprämien und individueller Preisgestaltung. Auch die Begünstigung von nichtgeteilten Öffentlichkeiten und, damit verbunden, möglichen Isolationstendenzen aufgrund von sogenannten "Filterblasen" (Vorsortierung bspw. bei Facebook von Informationen, die den berechneten Interessen entsprechen) ist ein Thema.

Handelsabkommen im Fokus

Das NFP 75 ist in drei Module gegliedert: Zwei davon, "Computing und Informationstechnologie" und "Anwendungen" sind hauptsächlich naturwissenschaftlich ausgerichtet, während Mira Burris und Sophie Mützels Forschungen im Teilbereich "Gesellschaftliche, regulatorische und bildungsbezogene Herausforderungen" verortet sind.

Mira Burri beschäftigt sich in ihrem drei Jahre laufenden Projekt mit rechtlichen Aspekten der Thematik. Mit ihrem Team, bestehend aus einer Postdoktorierenden bzw. einem Postdoktorierenden und zwei Doktorierenden, forscht sie zu "The Governance of Big Data in Trade Agreements: Design, Diffusion and Implications" (bewilligte Fördersumme: rund 550'000 Franken). Auch wenn "Big Data" ein relativ neues Phänomen darstelle, entwickle es sich nicht in einem rechtlichen Vakuum, erklärt Burri: "Viele der 'alten' Regelungen, wie im Bereich des Datenschutzes oder des Urheberrechts, kommen zur Anwendung." Auf der internationalen Ebene seien diese Normen oft in Handelsabkommen verankert – ob nun im multilateralen Forum der Welthandelsorganisation (WTO) oder, wie immer häufiger, in bilateralen oder regionalen Freihandelsabkommen. "Trotzdem wurde das Thema 'Big Data' bislang nur selten in Verbindung mit dem Handelsregime gebracht; es existiert keine systematische Analyse der relevanten Regeln. Ziel ist es, diese Lücke zu schliessen."

Dazu werden die bereits bestehenden wirtschaftsrechtlichen Normen in einer Datenbank zusammengefasst und die Entwicklung dieser regulatorischen Modelle untersucht. Auch die Frage, inwiefern einzelne Staaten überhaupt noch autonom agieren und eigene "Big Data"-Regelungen verabschieden können, wird er- örtert. Im normativen Teil der Arbeit sollen Empfehlungen für den Gesetzgeber zugunsten einer Balance zwischen "datengetriebener" Wirtschaft und Schutz der Privatsphäre erarbeitet werden. Auf die derzeitige Situation in der Schweiz bezogen, sagt Burri: "Es handelt sich um einen bemerkenswerten Fall – bislang gibt es hierzulande keine klare Strategie hinsichtlich digitalem Handel und dessen Regulierung in Freihandelsabkommen. Die Schweiz hätte aber das Potenzial, sich als 'regulatory entrepreneur' zu positionieren und innovative und ausgewogene Regelungen auf der internationalen Szene zu unterbreiten." (Für mehr Informationen zu Mira Burris Projekt siehe auch den Beitrag im Jahresbericht 2016 der Universität Luzern)

Instrumentarium erweitern

Der Titel des Projekts von Assistenzprofessorin Sophie Mützel lautet "Facing Big Data: Methods and Skills Needed for a 21st Century Sociology". Zu ihrem Team gehören drei Doktorierende, die während dreieinhalb Jahren angestellt sein werden (Fördersumme: rund 650'000 Franken). Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen die methodischen Herausforderungen für die Disziplin Soziologie, die sich mit dem Aufkommen von grossen Datenmengen ergeben. Wie Mützel ausführt, könnte sich die Soziologie eigentlich in einer führenden Position befinden, um sich an der Analyse von digital geprägtem Sozialem zu beteiligen. Schliesslich handle es sich um eine Disziplin, die mit Hilfe von theoretischen Konzepten und einem methodischen Werkzeugkasten das Soziale zu erklären versucht. "Nichtsdestotrotz sind es primär andere Forschungszweige – im Besonderen die Data Science –, die das Feld der Untersuchung dieses weitreichenden Wandels der Daten und Methoden besetzen." Um mit "Big Data" zu arbeiten, sei es für die Soziologie an der Zeit, den methodischen Werkzeugkasten entsprechend zu erweitern.

"Ziel kann sicherlich nicht sein, dass aus Soziologinnen und Soziologen schlechte Informatikerinnen und Programmierer werden sollen", betont Ass.-Prof. Mützel. Vielmehr gehe es darum, auf die Disziplin bezogen, die eigenen Scheuklappen abzulegen, in Konversation mit anderen Fächern zu treten und neue Fähigkeiten zu erlernen. Auf die Studierenden bezogen heisse dies, eine neue Generation von Forschenden auszubilden, die auf die veränderten Anforderungen künftiger Arbeitgeber – bspw. in Medienunternehmen, Beratungsfirmen und Marketing – eingehen können. "Das Ausbilden einer 'data literacy', also eines Bewusstseins und einer Kompetenz im Umgang mit digitalen Daten, tut Not. Das Interesse der Studierenden an diesen Fähigkeiten ist gross." Eine Besonderheit des Projekts stelle der Umstand dar, dass nicht nur über neue Methoden reflektiert werden soll, sondern diese auch praktisch zur Anwendung gelangen.

Dialog im Netzwerk

Im Mai 2017 findet nun ein erstes Treffen der Projektleiterinnen und -leiter des NFP 75 statt. Sophie Mützel freut sich auf den Austausch: "Wenn verschiedene Forschende dasselbe Thema aus ihrer je eigenen Perspektive angehen, kann Interdisziplinarität zu sehr fruchtbaren Ergebnissen führen." Und Mira Burri, die bereits in Kontakt mit der anderen Rechtswissenschaftlerin in ihrem Modul steht, sagt: "Ich werde bestimmt stark von Synergien profitieren können."


Quelle: uniluAKTUELL, das Magazin der Universität Luzern, Ausgabe 57, Dezember 2016, S. 1–3.
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Siehe auch News vom 21. November 2016