Kirchenräume neu denken
Festvortrag des diesjährigen Ehrendoktors der Theologischen Fakultät, Prof. em. Dr. Albert Gerhards, zur Öffnung von Kirchenräumen für stadträumliche Begegnungen und Interaktionen. Gerhards ist Leiter des interdisziplinären Forschungsprojekts «Sakralraumtransformation».
Datum: | 7. November 2024 |
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Zeit: | 17.15 Uhr |
Ort: | Universität Luzern, Hörsaal 9 |
Das Thema
Die Kirche, einst als «Haus voll Glorie» gepriesen, zerbröckelt in weiten Teilen Europas. Früher sichtbare Verweise auf die «feste Burg», auf den rettenden Gott, werden die Kirchengebäude der Grosskirchen in Stadt und Land zum Spielball der Neuordnungsstrategien von Personal- und Finanzmanagement. Die Folgen sind gravierend: Nicht nur ist der Verlust der Identifikationsräume der Kerngemeinden zu beklagen, sondern gehen auch die Potenziale der Gebäude für den Sozialraum verloren, und eine historische Sakralbaulandschaft droht zu verschwinden. In einigen Ländern Europas, nicht zuletzt in der Schweiz, befasst man sich seit einiger Zeit aus verschiedenen Fachrichtungen intensiv mit diesem Phänomen und versucht, Gegenstrategien zu entwickeln. Wenn man den Raumbegriff mit der neueren Raumsoziologie nicht mehr statisch versteht, sondern relational, lösen sich die Kirchenmauern gleichsam aus ihrer Erstarrung auf, sie öffnen sich für stadträumliche (und ländliche) Begegnungen und Interaktionen. Dies führt unter Umständen nicht nur zu einer Transformation der Kirchengebäude, sondern auch der christlichen Gemeinden, hat demzufolge ekklesiologische Relevanz. Bei solchem Perspektivwechsel, wie ihn die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte interdisziplinäre Forschungsgruppe «Sakralraumtransformation» (TRANSARA) vornimmt, rücken die Sakralgebäude von der Peripherie in die Blickmitte, wenn es um Zukunftsfragen der Religion in den westlichen Gesellschaften geht. Der Festvortrag stellt neuere Forschungsergebnisse vor und diskutiert aus der Sicht der Liturgiewissenschaft einige Thesen zur Entwicklung der Sakralbaulandschaft Mitteleuropas.
Der Referent
Annähernd 30 Jahre hatte der 2017 emeritierte Professor den Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Universität Bonn inne. Sein Forschungsinteresse war und ist breit gefächert. So umfasst sein Publikationsverzeichnis bis heute allein 63 Monographien und Herausgeberschaften, ergänzt durch annähernd 1000 grössere Artikel und kleinere Beiträge. Die Breite seiner Forschungen ist bemerkenswert: von Liturgiegeschichtsforschung zur frühen Kirche sowie zum Mittelalter, über grundlegende Forschungen zum Verhältnis von jüdischer und christlicher Liturgie, zu Forschungen zur Thematik Liturgischer Erneuerung in der Gegenwart und zu den ästhetischen Dimensionen des christlichen Gottesdienstes, wozu Kunst, Musik und Kirchenbau gehören. Wie kaum einem derzeit lebenden Liturgiewissenschaftler ist es ihm damit gelungen, in allen Teildisziplinen der Liturgiewissenschaft zuhause zu sein.
Mit Albert Gerhards ehrt die Theologische Fakultät nicht nur eine herausragende Forscherpersönlichkeit, sondern auch einen weithin geschätzten akademischen Lehrer, der eine ganze Generation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ausgebildet hat. Zahlreiche seiner Schüler-innen und Schüler bekleiden heute Professuren im Fach Liturgiewissenschaft oder zentrale Positionen in Kirche und Gesellschaft.