Metaphysik und Ontologie in der Schweiz im Zeitalter der Reformation (1519-1648)
Seit W.V.O. Quine lässt sich in der Philosophie vermehrt die Tendenz beobachten, ‚Ontologie‘ und ‚Metaphysik‘ zu trennen. Diese Trennung ist das Ergebnis einer philosophischen Debatte, die implizit bereits seit Jahrhunderten geführt wird. Explizit, insbesondere was die Ausbildung der spezifischen Terminologie betrifft, nimmt sie ihren Ausgang in der reformierten Scholastik der Frühen Neuzeit. Vor allem in der Schweiz und in Deutschland schöpften reformierte Philosophen nach Jahren, in denen Martin Luthers „Metaphysikfeindlichkeit“ dominierte, aus metaphysischen Modellen, die zuvor von Jesuiten wie B. Perera, P. da Fonseca und F. Suárez entworfen worden waren.
Wie die jüngste Forschung gezeigt hat, taucht der Ausdruck „Ontologie“ erstmals 1606 in der Schweiz auf, nämlich in einem Lehrbuch, das Jacob Lorhard, der Rektor des reformierten Gymnasiums in St. Gallen, für seinen Unterricht verfasst hat. Von der Schweiz ausgehend fand die Ontologie als allgemeine Wissenschaft daraufhin Verbreitung in Deutschland und sicherte fortan ihren Erfolg über die Frühe Neuzeit hinweg bis zu Kant.
Das Projekt möchte daher die Rückkehr der Metaphysik und die „Geburt“ der Ontologie in der Schweiz im Zeitalter der Reformation anhand lokaler Fallstudien zu den Städten Basel, Chur, Genève, Luzern, St. Gallen und Zürich untersuchen. Den Institutionen (Schulen, Gymnasien, Akademien, Universitäten) jeder dieser Orte soll im Rahmen des Projekts eine eigene Studie gewidmet werden. Die Forschung richtet sich neben den Gegenstandsbereichen von Ontologie und Metaphysik auch auf das Verhältnis zwischen Metaphysik und Theologie und untersucht die Entwicklung der Auseinandersetzung mit transzendentalen (ens, res, aliquid, unum, verum, bonum) oder gar supertranszendentalen Begriffen (z.B. intelligibile, cogitabile, opinabile), Objekten, die allein in der Vernunft existieren (entia rationis), Privation, Negation oder gar dem Begriff des Nichts schlechthin (nihil).
Um die institutionellen und akademischen Kontexte der einzelnen schweizerischen Bildungseinrichtungen, die im Rahmen des Projektes relevant sind, sowie deren Lehrpläne zu untersuchen, greift das Projekt auf Methoden der Universitäts- und Institutionsgeschichte zurück. Zusätzlich zu bereits verfügbaren historiographischen Werken zu den verschiedenen schweizerischen Institutionen werden die Matrikelbücher herangezogen, um über einen Zeitraum von rund 150 Jahren hinweg die Geschichte der Lehre der Metaphysik und der Lehrstühle für Metaphysik an den schweizerischen Institutionen vor und nach dem Einsetzen der Reformation zu rekonstruieren.
Für jede der zu untersuchenden schweizerischen Institutionen wird es überdies hilfreich sein, die individuelle Konfessionsgeschichte zu berücksichtigen. Die in konfessioneller Hinsicht relevanten lokalen Unterschiede hatten mitunter grossen Einfluss auf die jeweilige Ausprägung der Metaphysik und Ontologie.
Gesuchstellender des Projekts ist Giovanni Ventimiglia, Ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Luzern und Direktor des Instituts für philosophische Studien (ISFI) an der Theologischen Fakultät Lugano. Er ist Spezialist für mittelalterliche wie zeitgenössische Metaphysik und Ontologie. Mitgesuchstellender des Projekts ist Wolfgang Rother, Professor für Geschichte der Philosophie am Philosophischen Seminar an der Universität Zürich. Er ist Spezialist für Philosophie und Philosophieunterricht in der Schweiz der Frühen Neuzeit, mit besonderem Forschungsinteresse für die Universitäten Basel, Genf und Zürich.
Das Forschungsnetzwerk des Projekts sieht vor, international renommierte Experten zur frühneuzeitlichen Ontologiegeschichte einzubinden, wie etwa U.G. Leinsle (Universität Regensburg) und J.-F- Courtine (Université Paris Sorbonne), deren Forschungsarbeiten bis heute den status quaestionis markieren. Andere wichtige Spezialisten sollen darüber hinaus einzelne Aspekte der Forschung unterstützen und an den im Projekt vorgesehenen Treffen (ein Workshop und eine Tagung) teilnehmen – hierunter etwa P.R. Blum (Loyola University Maryland), Costantino Esposito (Università di Bari) und Pasquale Porro (Université Paris Sorbonne).
Die Forschungsarbeit wird durch zwei Forscher durchgeführt. Hierzu gehört zunächst ein Post-Doc (Marco Lamanna), der mit bereits mehr als sechs Jahren Erfahrung im Bereich der Forschung zur Ontologiegeschichte aufwartet. Unterstützt wird seine Arbeit durch eine Doktorandin/einen Doktoranden, deren/dessen Forschung sich insbesondere den Quellen aus den Archiven und Bibliotheken der massgeblichen schweizerischen Institutionen widmen soll. Die aus dieser Forschung entstehende Dissertation soll vor allem institutionsgeschichtlich die Entwicklung, Verbreitung und Ausrichtung des Metaphysikunterrichts in den schweizerischen Institutionen der Reformationszeit untersuchen.
Zusätzlich zur Publikation einer Reihe von Aufsätzen in internationalen Fachzeitschriften soll am Ende des Projektes die Veröffentlichung einer Monographie stehen, die über den Zeitraum von 1519 (dem Jahr von Zwinglis Amtsantritt Zürich) bis 1648 (dem Jahr der schweizerischen Unabhängigkeitserklärung) hinweg die Geschichte der Ontologie in der Schweiz nachzeichnet.
Die vorgesehene Dauer des Projekts beträgt drei Jahre, beginnend im November 2016.