«Glauben und Wissenschaft kann man nicht trennen»

Astrophysiker Prof. em. Dr. Arnold Benz hält die diesjährige Otto-Karrer-Vorlesung vom 25. September in der Jesuitenkirche. Im Interview gibt er einen ersten Einblick in sein Thema «vom Unendlichen berührt» und erklärt, warum Glauben und Wissenschaft schon immer getrennt waren und wie sie trotzdem zusammenhängen.

Arnold Benz mit Weltraumteleskop Herschel, mit dem er an der ETH Forschung betrieben hat.

Ein Astrophysiker, der sich für die Ökumene (s. Infobox) und die Erhaltung der christlichen Kirchen einsetzt. Wie geht das zusammen? Arnold Benz war von 1993 – 2010 Astrophysiker am Departement Physik der ETH Zürich. Schon während seiner Arbeitstätigkeit setzte er sich nebenamtlich für den Dialog zwischen Naturwissenschaft und Glaube ein und ist ein langjähriges Mitglied des Arbeitskreises «Glaube und Wissenschaft», der auf den Ökumenischen Arbeitskreis von Otto Karrer und Peter Vogelsanger zurückgeht.

Arnold Benz, viele sehen im Glauben einen Widerspruch zur Naturwissenschaft. Ist es einer?
Arnold Benz: Zu Galileis Zeiten im 17. Jahrhundert gab es den sattsam bekannten Widerspruch zwischen geozentrischem und heliozentrischem Weltbild, zwischen kirchlicher Autorität und Wissenschaft. Glauben ist jedoch mehr als Für-wahr-halten. An etwas Glauben heisst heute, vertrauen auf eine religiöse Erfahrung oder Einsicht. Ich glaube zum Beispiel, dass die Welt «gut» ist. So steht es auch in der Bibel (Genesis 1,31). Das ist keine naturwissenschaftliche Erkenntnis (es gilt fressen und gefressen werden) und kein statistisches Resultat (mehr gut als schlecht): Gut heisst nicht einfach immer gut, sondern letztlich gut. Es ist die Hoffnung, dass am Ende doch etwas Gutes siegt. Hoffnung ist ein Bauchgefühl, das auch einmal der wissenschaftlichen Prognose widersprechen kann. In ihren Kernaussagen sprechen Naturwissenschaft und Glauben von verschiedenen Dingen. Daher widersprechen sie sich nicht. Und wenn sie es trotzdem tun, haben wir entweder die Naturwissenschaft als überall gültig und vollständig angenommen (Naturalismus) oder der Religion zu viel vertraut (z.B. Biblizismus).

Von Ihrer Vorlesung «Vom Unendlichen berührt» fühlen sich sicher auch Menschen angesprochen, die keinen Bezug zu einem personalen Gott haben, wie ihn das Christentum kennt.
Viele Menschen lassen sich ansprechen von Grösse, Alter, Energie und Schönheit des Universums. Beim Staunen wird uns bewusst, dass das Universum — und wir alle inbegriffen — nicht selbstverständlich sind. Im Staunen kann man das Universum als Geschenk erfahren. Dann liegt die Vorstellung eines Schenkenden nahe, also eines personalen Gottes. Diese Sprache ist bildhaft. Sie deutet Erfahrungen, die nicht physikalisch sind. Deutungen sind nicht zwingend und es kann mehrere geben.

Was würde für Sie fehlen, wenn Gott fehlt? 
Der Begriff «Gott» ist für mich mit direkten Erfahrungen verbunden und nicht nur eine Hypothese, die richtig oder falsch sein kann. Ähnlich kann man Liebe, Freude, Trauer und Hass erfahren und fragt nicht, was fehlen würde, wenn sie fehlten. An diesen direkten Erfahrungen nimmt man teil. Sie sind wie Resonanzen zwischen Mensch und objektiver Wirklichkeit. Das heisst auch, dass sie ein subjektives Element enthalten und man sie nicht beweisen kann. Und man kann sich ihnen verweigern. Wenn die religiösen Erfahrungen fehlen, dann fehlt Gott.

Die Kirchen mussten von den Wissenschaften lernen. Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie sind kein Widerspruch mehr. Was könnten Theologie und Kirche heute noch mehr lernen?
Wahrnehmungen und Erfahrungen stehen methodisch am Anfang der heutigen Naturwissenschaft. Sie sind die Verbindung zur Wirklichkeit. Auch von der Theologie erwarte ich, dass sie immer wieder zu den Erfahrungen zurück geht und damit ihre Aussagen begründet. Wenn z.B. ein biblischer Text diskutiert wird, sollte es für auch Laien klar sein, von welcher Art von Wirklichkeit gesprochen wird. Sie ist verschieden, je nachdem ob es sich um eine gut begründete Geschichte, einen Mythos, eine Legende oder ein Gleichnis handelt.

Ihnen ist der Dialog von Glauben und Naturwissenschaft wichtig. Haben Sie von Berufskollegen deswegen schon Widerstand oder Kritik erfahren?
Keinen Widerstand und wenig Kritik. Viele Kollegen haben jedoch das Problem zu verstehen, «wovon die Theologen denn eigentlich reden». Sie sind grösstenteils Agnostiker, keine Atheisten. Ich habe von Kollegen schon Komplimente erhalten, dass sie mich besser verständen als Theologen, was mit Religion gemeint sei. Die Kirchen scheinen manchmal nicht ganz zu realisieren, wie schwierig es für jemand mit heutigem (materialistischem) Weltbild ist, die Botschaft des Christentums zu verstehen.

Sie halten die Ökumene der christlichen Kirchen für zentral und engagieren sich auch dafür. Weshalb? 
Die Wissenschaft macht rasante Fortschritte und verändert damit die Welt und die Weltanschauung. Die Kirchen können nicht stille stehen und müssen mitmarschieren, um verständlich zu sein. Im gemeinsamen Vorwärtsgehen durch die Geschichte ergänzen sich die Kompetenzen und Traditionen der Konfessionen. Ich erlebe es als eine echte Bereicherung, dass es verschiedene christliche Kirchen mit verschiedenen Traditionen gibt.

Muss man Glauben und Naturwissenschaft trennen oder vereinen?
Es wurde mir schon vorgeworfen, dass ich Glauben und Naturwissenschaft trenne. Es ist mir wichtig zu betonen, dass man sie nicht trennen kann, denn sie sind von Anfang an getrennt. Sowohl in der Naturwissenschaft wie im Glauben werden je verschiedene Bruchstücke der Wirklichkeit verschieden wahrgenommen. Entsprechend verschieden sind auch die Methoden und die Sprachen. Im Glauben herrscht die Ich-Perspektive vor, in der Wissenschaft ist es die Es-Perspektive. Beides lässt sich so wenig mischen wie Wasser und Öl. Doch begegnen sich Wissen und Glauben im Staunen, dass die Welt ist, wie sie ist. Ich kann mir nur eine einzige Wirklichkeit vorstellen, die aber weder rein spirituell noch rein naturalistisch zu erfassen ist.

Ökumene und die Otto-Karrer-Vorlesung

Die ökumenische Bewegung widmet sich bereits seit der Reformation dem Austausch der christlichen Konfessionen. An der Theologischen Fakultät der Universität Luzern forscht und lehrt Titularprofessorin Prof. Dr. Nicola Ottiger in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Institut Luzern im Bereich Ökumene. Ökumene schliesst heute auch vermehrt den interreligiösen Dialog mit ein.

Zur Professur für Ökumenische Theologie

 

Seit 1977 wird im Gedenken an den Ökumeniker Otto Karrer jährlich eine Otto-Karrer-Vorlesung gehalten. Dabei kommt jedes Jahr eine andere Persönlichkeit aus Kirche, Gesellschaft oder Politik zu Wort.

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