Forschung
Die Forschungsschwerpunkte von Prof. Dr. Regina E. Aebi-Müller liegen in den Bereichen Personen-, Familien- und Erbrecht, namentlich Güter- und erbrechtliche Planung, Kindesrecht und Persönlichkeitsschutz; Medizinrecht; Sportrecht; Privatrechtsvergleichung in den genannten Rechtsgebieten.
Forschungsprojekte
Kulturelle Vielfalt im Medizinrecht
Wie kann das Gesundheitssystem den besonderen Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten aus anderen Kulturkreisen angemessen Rechnung tragen? Dieser Frage geht ein vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördertes Projekt unter der Leitung der Universitäten Luzern und Basel nach.
Das schweizerische Medizin- und Gesundheitsrecht beruht auf dem Menschenbild von selbstbestimmten und rational handelnden Patientinnen und Patienten. Diese treffen nach hinreichender Aufklärung – gewissermassen auf Augenhöhe mit der Ärztin oder dem Arzt – einen selbstbestimmten Entscheid über die Durchführung des medizinischen Eingriffs. Dieser Entscheid soll auf der Basis einer kritischen Beurteilung der medizinischen Diagnose sowie einer sorgfältigen Abwägung von Nutzen gegen Risiken und Belastungen einer Behandlung oder Nichtbehandlung getroffen werden. In gleicher Weise legt die Patientin oder der Patient vorsorglich medizinische Massnahmen fest, die bei einer allfälligen künftigen Urteilsunfähigkeit zu treffen oder zu unterlassen sind.
Neue Herausforderung
Das dem Medizin- und Gesundheitsrecht zugrundeliegende Menschenbild stimmt jedoch mit der Realität oftmals nicht überein. Im Fokus des neuen Forschungsprojekts unter der Leitung von Prof. Dr. Regina E. Aebi-Müller, Prof. Dr. Bernhard Rütsche und Prof. Dr. Bijan Fateh-Moghadam (Universität Basel) stehen Patientinnen/Patienten und deren Angehörige, deren Wertvorstellungen und Bedürfnisse in Bezug auf die medizinische Versorgung von den Rationalitätsvorstellungen abweichen, wie sie unsere Rechtsordnung implizit voraussetzt. Solche als «irrational» oder «unvernünftig» erscheinenden Werthaltungen und Bedürfnisse können aufgrund von Traditionen und Weltanschauungen in der Herkunftsgesellschaft, Religionszugehörigkeit oder aus anderen Gründen soziokulturell geprägt sein. Zu denken ist etwa an Vorbehalte gegenüber bestimmten Medizinprodukten, metaphysische Vorstellungen von Krankheit und Tod oder Entscheidungszuständigkeiten innerhalb der Familie. Damit ist das Gesundheitssystem täglich – und aufgrund der globalen Migration sowie der Segmentierung von Wertvorstellungen und Lebensweisen in zunehmendem Mass – konfrontiert. Häufig sind Patientinnen und Patienten sowie ihre gesetzlichen Vertreter, die den rechtlichen Unterstellungen rationaler Entscheidungsfindung nicht entsprechen, in ausgeprägtem Mass verwundbar und diskriminierungsgefährdet.
Davon ausgehend untersucht das Forschungsprojekt mit seinen drei aufeinander abgestimmten Teilprojekten aus zivil-, öffentlich- und strafrechtlicher Perspektive, ob das geltende Medizin- und Gesundheitsrecht der Diversität soziokulturell geprägter Werte und Verhaltensweisen hinreichend Rechnung trägt und inwiefern in der Praxis der medizinischen Versorgung oder durch Anpassungen der Rechtslage Verbesserungen angezeigt sind.
- Titel des Projekts: «Kultursensibles Medizinrecht– Rechtliche Herausforderungen im Umgang mit soziokulturell bedingter Diversität in der Gesundheitsversorgung»
- Leitung:
Prof. Dr. Regina E. Aebi-Müller und Prof. Dr. Bernhard Rütsche, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Luzern;
Prof. Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Juristische Fakultät, Universität Basel - Projektbeteiligte Mitarbeitende:
Universität Luzern:
Dr. iur. Tanja Coskun-Ivanovic, Forschungsmitarbeiterin Post Doc
MLaw Mirjam Signer, Doktorandin (ab 01.11.2024)
Nicole Erdösi, BSc FH, Hilfsassistentin
Universität Basel:
Ein/e Doktorand/in - Projektdauer: Juli 2024 bis Juni 2028
- Bewilligte Fördersumme insgesamt: rund 1‘116‘000 Franken
In Familien mit einem Kind mit Behinderung besteht aus verschiedenen Gründen, die u.a. im Sozialhilfe- und Sozialversicherungsrecht zu finden sind, oft das Bedürfnis, die Erbfolge bzw. die Familienvermögensplanung nicht den gesetzlichen Regeln zu überlassen, sondern den Erbfall der Eltern konkret zu planen. Das schweizerische Recht stellt dafür verschiedene Planungsinstrumente zur Verfügung. Das Forschungsprojekt will untersuchen, welche konkreten Möglichkeiten diese Planungsinstrumente de lege lata eröffnen und wo sich allenfalls Grenzen zeigen. Wo die Rechtsordnung berechtigten Anliegen zu wenig Raum lässt, soll auch nach möglichen Auswegen de lege ferenda gesucht werden. Ferner werden die mit dem Thema verknüpften rechtspolitischen Fragestellungen diskutiert. Im Grundsatz steckt hinter der Frage nach behindertengerechter Nachlassplanung und deren rechtlichen Grenzen die Frage, wer das finanzielle Risiko einer Behinderung tragen soll: Stehen primär die Eltern in der Verantwortung (und damit das gesamte Familienvermögen) oder handelt es sich um eine Aufgabe des Sozialstaates, sodass sich eine verstärkte (indirekte) Überwälzung der Kosten auf die Allgemeinheit rechtfertigt? Obwohl die Diskussion in Deutschland schon viel weiter fortgeschritten ist, steht die Rechtslage in der Schweiz im Vordergrund.
Frau MLaw Janine Camenzind bearbeitete das Forschungsprojekt. Das Projekts endete im 2021. Im 2023 erschien die Dissertation mit dem Titel "Nachlassplanung in Familien mit Nachkommen mit Behinderung". Einige Begleitpublikationen rundeten das Projekt ab.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der rechtlichen Pflicht, selber entscheiden zu müssen
Unter diesem LInk finden Sie detaillierte Informationen zum Projektteil von Prof. Dr. Regina E. Aebi-Müller:
Zur Projektwebseite: NFP 67 "Lebensende"
Link zur Website "NFP 67" beim Schweizerischen Nationalfonds SNF
Das abgeschlossene Forschungsprojekt befasste sich mit der Frage nach den Grenzen des Zustimmungsrechts sorgeberechtigter Eltern sowie der staatlichen Fürsorgepflicht im Zusammenhang mit gesundheitlichen Belangen des urteilsunfähigen minderjährigen Kindes.
In sehr weiten Teilen medizinischer Behandlungsmöglichkeiten ist es heute nicht mehr möglich, von einem universal und objektiv verstandenen Kindesinteresse zu sprechen, dem sich die Eltern eines urteilsunfähigen Kindes – notfalls mit behördlicher Intervention – zu unterziehen haben. Das "objektive Kindesinteresse" ist über weite Strecken eine Fiktion, die der komplexen medizinischen Realität längst nicht mehr gerecht wird. Hinsichtlich der Frage, ob gesundheitliche Beeinträchtigungen ein schicksalhaft hinzunehmender Teil des kindlichen Lebens bilden, Vorsorgeimpfungen in unnatürlicher Weise die Entwicklung der Abwehrkräfte hindern und ästhetische Beschränkungen als natürliche Schönheit bezeichnet werden, oder ob gerade umgekehrt "gute Eltern" heute mit allen ihnen zur Verfügung stehenden zeitlichen und finanziellen Ressourcen das medizinisch Mögliche ausreizen sollten, besteht höchstens in den Randbereichen Klarheit, etwa beim Vorliegen lebensbedrohender Erkrankungen und gleichzeitig einfachen medizinischen Interventionsmöglichen. Es verbleiben breite Grauzonen, in denen unklar ist, welchen Spielraum der Staat den Eltern zugestehen soll und wo behördliches Eingreifen – auf welcher weltanschaulichen und gesellschaftlicher Basis auch immer – notwendig wird.
Je nach Ausgangslage kann es problematisch sein, wenn eine Behörde über die Vornahme medizinischer Behandlungen entscheidet. Dies betrifft einmal von der konkreten Situation unabhängige staatliche Massnahmen der Gesundheitsfürsorge bei Kindern, die mit dem elterlichen Sorgerecht kollidieren können (z.B. Zwangsimpfungen, schulärztliche sowie schulzahnärztliche Untersuchungen und Anordnungen usw.). Vor allem aber stellen sich zahlreiche, in der rechtswissenschaftlichen Forschung bislang noch kaum aufgearbeitete Fragen im Zusammenhang mit der Zulässigkeit individuell-konkreter staatlicher Interventionen in Form von Kindesschutzmassnahmen. Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, inwieweit Eltern aufgrund ihrer Unterhaltspflicht zugemutet werden kann, die Behandlung und Pflege zu finanzieren, wenn die entsprechenden, aus medizinischer Sicht objektiv nutzbringenden Interventionen nicht durch die Krankenversicherung oder staatliche Leistungserbringer (z.B. IV) gedeckt werden. Besteht hier ein freies Entscheidungsrecht der Eltern, oder dürfen die Behörden den Entscheid über die Behandlung mittels Kindesschutzmassnahmen vorwegnehmen, unter Kostenfolge für die Eltern?
Die Grenzziehung zwischen staatlichen und elterlichen Bestimmungsrechten wurde im Rahmen des Forschungsprojektes nicht aus rein materiellrechtlicher Sicht betrachtet, vielmehr wurden auch konkrete Abläufe und Verfahrensbestimmungen beleuchtet. Ein wichtiges Ziel des Forschungsprojektes war es, den involvierten Behörden verlässliche Handlungsanleitungen zur Verfügung zu stellen, wo nötig neue de lege ferenda mögliche gesetzliche Instrumente anzuregen und umgekehrt den Eltern den Handlungsfreiraum einzuräumen, der einerseits durch ihr zivilrechtliches Sorgerecht, andererseits durch grundrechtliche Vorgaben umschrieben wird.
Frau Dr. iur. Barbara Pfister Piller, RA hat das Forschungsprojekt im Rahmen ihrer Dissertation mit dem Titel "Kindesschutz in der Medizin" umfassend bearbeitet. Erschienen ist die Dissertation 2016 im Schulthess Verlag, ISBN 978-3-7255-7514-5.
Dissertation Barbara Pfister Piller: Kindesschutz in der Medizin
Mit Einführung des Erwachsenenschutzrechts zum 1. Januar 2013 sind gesetzliche Vertretungsrechte von Angehörigen urteilsunfähiger Personen neu geschaffen worden. Konkret bedeutet dies, dass Angehörige eines urteilsunfähigen Patienten in Bezug auf stationäre oder ambulante medizinische Behandlungsentscheidungen direkt zur stellvertretenden Einwilligung oder Verweigerung der Einwilligung berufen sind. Nach altem Recht hingegen waren die Angehörigen eines urteilsunfähigen Patienten nur im Hinblick auf die Ergründung des mutmasslichen Willens des Patienten von Bedeutung und wurden nach Wertvorstellungen und Präferenzen des urteilsunfähigen Patienten befragt. Nach neuem Recht jedoch muss der gesetzlich zur Vertretung berufene Angehörige – und nur dieser! – den eigentlichen Entscheid treffen; und dies ist oftmals ein Entscheid über Leben und Tod, über Fortsetzung oder Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen. Hinzukommt, dass der kraft Gesetz zur Entscheidung berufene Angehörige die Bedürfnisse und Wünsche des Patienten nicht immer am besten kennt. Doch der behandelnde Arzt ist nicht befugt, weitere Angehörige oder Freunde des Patienten zu kontaktieren, weil er sonst sein Berufsgeheimnis verletzen würde. Die Betroffenen tragen eine grosse Verantwortung und stehen vielfach unter erheblichem Entscheidungsdruck.
Die gesetzlichen Vertretungsrechte von Angehörigen urteilsunfähiger Personen werfen eine Vielzahl von Fragen auf. So ist beispielsweise problematisch, dass gegen den Vertreterentscheid kein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung steht; auch bei der Umschreibung der Vertretungsberechtigten sind Unklarheiten und Inkohärenzen auszumachen.
Das Projekt will klären, ob die neue eingeführte Regelung der Vertretung von Urteilsunfähigen bei medizinischen Massnahmen tragfähig ist. Dazu arbeitet das Projekt mit den anerkannten rechtswissenschaftlichen Methoden und bezieht auch Erkenntnisse und Erfahrungen anderer Rechtsordnungen in die Analyse mit ein.
Frau Dr. iur. Bianka Dörr hat das Forschungsprojekt bearbeitet.