In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben einschneidende politische, ökonomische, soziale und kulturelle Veränderungen zu einem bis dahin beispiellosen Stadtwachstum geführt, sowohl in der Schweiz als auch international. Durch Abbrüche, Um- und eine grosse Zahl von Neubauten veränderte sich die Stadtgestalt in kurzer Zeit von Grund auf. Diese Modernisierungsprozesse waren gleichermassen Ergebnis und immer wieder Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Sie unterwarfen die Stadt nicht nur in baulicher Hinsicht einem Wandel, sondern führten ebenso radikal zu neuen urbanen Identitäten und Imaginationen.

Das Dissertationsprojekt untersucht diese Zusammenhänge von Stadtgestalt und Stadtgesellschaft. Grundlegend ist dabei ein Verständnis von (Stadt-)Modernisierung, das nicht "Fortschritt" impliziert, sondern den Begriff der Modernisierung in einem reflexiven Sinne als Ausdruck der Ambivalenz (und Gleichzeitigkeit) von Fortschrittsglaube und Vergangenheitsbezug deutet, die sich gegenseitig bedingten und vielfältig beeinflussten. Es soll gezeigt werden, wie in verschiedenen Städten Identitäten unter Bezugnahme auf die gegenwärtige und die intendierte zukünftige Stadt sowie auf die je eigene Stadtgeschichte konstruiert wurden und welche Funktionen die Orientierung an "alt" und "neu" dabei einnahmen.

Diese städtischen Selbstbilder waren abhängig von der in jeder Stadt eigenen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklung. Analysiert werden sie anhand von drei Fallbeispielen: Winterthur, Luzern und Bern, die exemplarisch stehen für die sich im 19. Jahrhundert herausbildende Trias von Industrie, Tourismus und Verwaltung / Dienstleistung. Mit dem Vergleich dieser drei Städte und ihrer je unterschiedlichen Identitätsdiskurse, die als Reaktion auf die Modernisierungsprozesse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geführt wurden, leistet das Projekt einen Beitrag zur Kulturgeschichte von Städten im frühen Bundesstaat.