Von der Olympiade in den Vorlesungssaal

No regrets! Dieses Motto gilt für Anna Jurt nicht nur an der Uni Luzern, sondern auch im Modernen Fünfkampf. Die Pentathletin hat es damit schon auf den elften Platz der Olympischen Spiele geschafft. Im Interview erzählt sie, wie das Soziologie- und Ethnologiestudium neue Perspektiven auf den Spitzensport ermöglicht.

Anna Jurt an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris.

Laserpistolen und Fechten – Pentathlon hört sich nach dem perfekten Sport für Adrenalinjunkies an. Wie bist du auf diese Sportart gekommen und was fasziniert dich daran?

Anna Jurt: Ich bin ein Mensch, der die vielseitigen Herausforderungen liebt. Was das angeht, bin ich mit dem Pentathlon sehr gut aufgehoben. Ich habe gerne Multitasking und Challenges, was bei dieser Sportart tagtäglich ist. Mir gefällt auch, dass man sich immer weiter verbessern und sich weiterzuentwickeln kann. Nicht nur im Sport, sondern auch menschlich.

Neben deiner Tätigkeit als Spitzensportlerin studierst du Teilzeit Soziologie und Ethnologie an der Uni Luzern. Wie sieht ein typischer Tagesablauf aus?

Das ist immer ein wenig unterschiedlich. Heute bin ich zum Beispiel aufgestanden, habe gefrühstückt, bin joggen gegangen, war im Fitnesscenter und später noch kurz beim Chiropraktiker für die körperliche und psychische Erholung, das ist mir sehr wichtig. Nach dem Mittagessen habe ich ein wenig für das Studium gearbeitet. Später bin ich schwimmen und nochmals joggen gegangen und habe zur Entspannung Yoga gemacht.

Es sehen aber nicht alle Tage so aus. Am Dienstag ist jeweils mein fixer Unitag. An den anderen Tagen mache ich sportlich viel wie heute und dann gibt es Tage wie gestern, als ich nur drei Trainings hatte, aber dafür intensivere. Es ist ein ständiges Jonglieren und ich achte jeweils darauf, wie es mir an diesem Tag geht.

Bleibt da auch Zeit für dich und für Erholung?

In den letzten Jahren ist mir immer mehr bewusst geworden, wie wichtig Erholung ist. Früher wollte ich immer möglichst viel machen und war dann aber auch unzufrieden, weil die Qualität nicht mehr gestimmt hat. Jetzt versuche ich etwa dreimal in der Woche am Abend eine Massage einzubauen, in die Sauna oder ins Yoga zu gehen. Ich unternehme auch regelmässig etwas mit Kolleginnen ausserhalb des Sports. Das gibt mir sehr viel zurück und hilft mir, mich nicht ausschliesslich mit dem Sport zu identifizieren. Klar gehe ich abends wenig in den Ausgang, aber das ist für mich okay.

Hat dein Studium einen interessenspezifischen Zusammenhang mit dem Pentathlon?

Ja und Nein. Ich studiere bewusst nicht Sportwissenschaft, da mein ganzes Leben bereits aus Sport besteht. Zudem haben mich Soziologie und Ethnologie schon immer interessiert und das Studium hilft mir, die Funktionsweise von Sportorganisationen zu verstehen. Ich finde es sehr toll, dass ich die zwei Dinge, die ich so gerne habe, in meinem Leben so intensiv leben darf.

Nimmst du durch dein Soziologiestudium beim Spitzensport gewisse soziale Dynamiken wahr, die dir vorher nicht aufgefallen sind?

Ich würde schon sagen. In der Soziologie habe ich beispielsweise eine Arbeit darüber geschrieben, ob Sport im modernen Kontext als Ersatzreligion betrachtet werden kann. Dort befasste ich mich unter anderem mit dem strukturellen Aufbau von Sport. Ich finde, Sport ist ein wichtiges soziales Feld und es ermöglicht mir, ein wenig hinter die Kulissen zu sehen und einen anderen Blickwinkel einzunehmen. In der Ethnologie wiederum habe ich zu Diabetes in Guatamela geforscht. Auch da konnte ich Schlüsse zum sportlichen Bereich ziehen.

Spürst du Leistungsdruck im Sport und / oder im Studium?

Ja, doch der Druck kommt im Sport sowie im Studium tatsächlich nur von mir selbst und nicht von aussen. Ich bin ein ehrgeiziger Mensch und habe am Anfang im Sport und in der Schule 100 Prozent gewollt. Inzwischen habe ich gelernt, Prioritäten zu setzen und kann besser damit umgehen. Aufgrund meines Teilzeitstudiums habe ich manchmal das Gefühl, nachzuhängen. Das sind stressige Gedanken. Dann muss ich mir in Erinnerung rufen, dass mir der Leistungssport neben den grossartigen Erlebnissen im Hier und Jetzt auch etwas für mein späteres Leben bringt. Durch dieses Rationalisieren ist auch der Druck besser zu handhaben.

Wie sehen deine sportlichen und akademischen Pläne nach dem Bachelorstudium aus? Möchtest du dich vollkommen dem Pentathlon widmen oder einen akademischen Weg einschlagen?

Dieses Jahr war bei mir alles auf die Olympischen Spiele in Paris ausgerichtet. Allgemein ist es aber so, dass ich von Semester zu Semester plane, wie das auch andere Student*innen machen. Was ich mir im Studium vornehme, versuche ich mit meinen Trainings zu vereinen.

Mein momentanes Ziel ist die nächste Olympiade in Los Angeles und ich versuche jedes Semester im Studium so zu planen, dass ich dieses Ziel der Olympiade erreichen kann. Das bedeutet, dass ich jetzt intensiver studiere und auch mehr an der Uni bin. Nächstes Semester werde ich wieder viel mehr Wettkämpfe haben und muss im Studium kürzertreten. Ich versuche immer herauszufinden, was am besten passt und wo ich einen Kompromiss machen kann.

Dein sportliches Motto lautet «no regrets!». Was bedeutet das für dich?

Ich bin ein Mensch, der ohne Bedauern zurückschauen und einfach im Moment leben möchte. Das Motto steht auch für ganz viele andere Dinge im Leben. Spitzensport und Studium zu kombinieren ist sicherlich eine Herausforderung, doch ich fühle mich mega fit und ich habe eine mega tolle Community. Das ist für mich der Mehrwert des Aufwands: schöne Erlebnisse und tolle Leute treffen.

Zur Person

Anna Jurt ist Moderne Fünfkämpferin, einer aus Schwimmen, Fechten, Laufen Schiessen und Obstacle (anstelle des ursprünglichen Reitens) zusammengesetzter Sportdisziplin, die sich auch Pentathlon nennt. Zu ihren diesjährigen sportlichen Erfolgen darf die Bernerin nebst dem elften Platz an den Olympischen Spielen in Paris eine Silbermedaille bei der Europameisterschaft in Budapest zählen. Anna Jurt ist zweifache Schweizermeisterin (2022 und 2023) und hat mehrfach an Europa- und Weltmeisterschaften Spitzenklassierungen erzielt.

Das Interview führte Nora Knobel, Bachelorstudentin in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften.