Radicals and Preachers

Social Networks and Identity Formation as Pull Factors of Jihadist Radicalisation in Austria, Germany, and Switzerland (RPSI)

Gefördert durch den Schweizerischen Nationalfonds
Projektlaufzeit: 1. 4. 2022 - 31. 3. 2026

Projektleitung: Prof. Dr. Antonius Liedhegener
Forschungsmitarbeiter: Dr. Johannes Saal, Dr. Jürgen Endres

Zusammenfassung

Prozesse politischer Radikalisierung betreffen zwar nur sehr kleine Bevölkerungskreise, stellen aber für freiheitliche Gesellschaften eine beachtliche Gefährdung dar. In den vergangenen Jahren konnte die Terrorismus- und Radikalisierungsforschung bedeutende Fortschritte verzeichnen. Vor allem war eine Verlagerung zu quantitativen und Mixed-Method-Ansätzen in der Untersuchung von Radikalisierungsmerkmalen und -verläufen und ein Wandel vom Warum zum Wie zu beobachten. Neuere relationale Ansätze befassen sich dabei mit der Frage nach Mechanismen um Prozesse der Radikalisierung und politischen Gewalt erklären zu können. Gerade die Soziale Netzwerkanalyse (SNA) bewies sich in diesem Zusammenhang als vielversprechende Methode. Dieses Forschungsprojekt möchte einen Beitrag zum aufkommenden Feld der SNA leisten, indem Exponential Random Graph Models (ERGM) und Stochastic Actor Oriented Models (SAOM) Anwendung finden, welche es erlauben, endogene und exogene Mehrebenen-Effekte, die zur dschihadistischen Radikalisierung in Deutschland, Österreich und der Schweiz führen, statistisch zu analysieren.

Das Forschungsprojekt möchte die Annahme überprüfen, ob dschihadistische Radikalisierung aus einer Kombination von Effekten der Netzwerkschliessung und einer Transformation individueller und sozialer Identitäten innerhalb dieser Netzwerke resultiert. Es untersucht die Forschungsfrage, ob Individuen von pietistischen und politischen nicht-gewaltaffinen Formen des Salafismus zu einem militanten Dschihadismus, welcher politische Gewalt legitimiert und fördert, aufgrund der Schliessung ihrer sozialen Netzwerke und dem Wandel ihrer sozialen Identitäten im Zuge der Hinwendung zum dschihadistischen Milieu konvertieren. Die grundlegende Hypothese des Projektes, welche auf Religionsökonomie, Sozialkapital-Theorie und der Theorie Sozialer Identitäten rekurriert, geht davon aus, dass die Kombination beider Prozesse – Netzwerkschliessung und Identitätswandel – die Wahrscheinlichkeit von Radikalisierung deutlich steigern. Um den Aspekt des Identitätswandel überprüfen zu können wirft das Projekt auch die Frage nach den religiösen Inhalten auf. Eine detaillierte Studie einflussreicher Prediger und deren Konstruktion von exklusiven und antagonistischen sozialen Identitäten ist ein wichtiger Ansatz, um Netzwerke und deren Wandel mit Prozessen der Transformation sozialer Identitäten in Verbindung bringen zu können.

Basierend von Ermittlungs- und Gerichtsunterlagen als Primärquelle wird das Projekt eine neue konsistente Datenbank mit Fällen dschihadistischer Radikalisierung aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, eine qualitative Inhaltsanalyse der Predigten salafistischer Prediger aus dem deutschsprachigen Raum und fortgeschrittene statistische Methoden in der Sozialen Netzwerkanalyse hervorbringen. Das Projekt leistet damit einen substantiellen Beitrag zur Terrorismus- und Radikalisierungsforschung sowie generell zur Erforschung des Zusammenhangs von sozialen Netzwerken und religiösen Identitäten, Glauben und Praxis. Es wird zudem bessere Daten zur religiösen Radikalisierung und einen neuen Erklärungsansatz von Radikalisierung als gruppenbezogener Effekt auf der Meso-Ebene bieten. Auch die breitere Öffentlichkeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz kann von einem besseren Verständnis von Radikalisierungsprozessen unter Muslimen profitieren und dieses zur Justierung gesellschaftspolitischer Programme zur Bekämpfung und Prävention von religiösem Extremismus und politischer Gewalt nutzen.