Drei Fragen an Hanspeter Kriesi
Wie es der EU trotz einigen Konflikten gelungen ist, die COVID-Krise zur Vertiefung der europäischen Integration zu nutzen, erläutert Prof. Hanspeter Kriesi in der Rede zu seinem Ehrendoktortitel am 3. November an der Universität Luzern. Im Interview erzählt er, wie er zu seinem Forschungsgebiet kam.
Hanspeter Kriesi, wie ist Ihr Interesse an Politikwissenschaften und der Forschung dazu entstanden?
Ich war schon als Kind an Politik interessiert und habe so oft wie möglich abends das Echo der Zeit gehört. Dieses Interesse wurde später, als ich AFS-Austauschstudent in den USA war, noch vertieft. Ich habe dann allerdings Soziologie studiert, weil mir die politischen Wissenschaften noch nicht bekannt waren. Mit meiner Habilitationsschrift habe ich mich diesen dann aber angenähert, indem ich die politische Elite der Schweiz in den frühen siebziger Jahren studierte. Später wandte ich mich der Analyse des politischen Protests in der Schweiz der Nachkriegszeit zu. Auf der Basis dieser Arbeiten wurde ich dann zum Professor für politische Wissenschaften in Amsterdam gewählt, ohne dieses Fach je studiert zu haben.
Die Staatsform der Demokratie scheint in letzter Zeit vermehrt unter Druck zu geraten, beispielsweise durch populistische Politiker und Politikerinnen oder Krisen wie die Coronapandemie. Sehen Sie dies als Experte auch so oder entspricht diese Wahrnehmung nur bedingt oder kaum der Realität?
Man muss präzisieren, was wir darunter verstehen, wenn wir davon sprechen, dass die Demokratie unter Druck gerät. Zumindest in Europa geniesst die Demokratie nach wie vor eine breite Unterstützung, d.h. die Prinzipien dieser Staatsform werden von den meisten Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen. Es gibt aber gleichzeitig eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie die Demokratie heute in der Praxis funktioniert. Und diese Unzufriedenheit wird von populistischen Politiker*innen zu ihren eigenen Zwecken benutzt und missbraucht.
Die Gefahr für die Demokratie kommt vor allem von Seiten der politischen Eliten, welche diese für ihre eigenen Zwecke untergraben. Das eklatanteste Beispiel ist Donald Trump in den USA, aber auch Viktor Orban in Ungarn oder Tayyip Erdogan in der Türkei illustrieren solche Vorgehensweisen.
Ihr Vortrag zum Ehrendoktortitel halten Sie über das Krisenmanagement der EU während der Coronakrise. Welche spannenden Aspekte darf das Publikum erwarten?
Der EU ist es wider Erwarten gelungen, die COVID-Pandemie relativ erfolgreich zu meistern. Anfänglich hatte es nicht danach ausgesehen: Die EU und ihre Mitgliedstaaten reagierten verspätet auf die Herausforderung der Pandemie, und als sie endlich reagierten, griffen die Mitgliedstaaten zu unilateralen Massnahmen, wie wir sie so gut von früheren her Krisen kennen. Diese ersten Reaktionen liessen nicht erwarten, dass die COVID-Krise tatsächlich zu einer Vertiefung der europäischen Integration beitragen würde. Und doch ist es dazu gekommen.
Im Vortrag versuche ich aufzuzeigen, welches die zentralen Streitpunkte auf nationaler und supranationaler Ebene waren, welche Konfliktstrukturen sich auf den beiden Ebenen herausgeschält haben, welches die zentralen Akteure waren, welche die Politikgestaltung im europäischen Mehrebenensystem entscheidend geprägt haben und wie diese letztlich zur Vertiefung der europäischen Integration beitragen konnten.
Anmeldung für den Vortrag von Hanspeter Kriesi am 3. November 2022 um 18.15 im Hörsaal 6.
Dieses Interview wurde von Corinne Huwyler realisiert. Sie studiert im Master Geschichte und Politikwissenschaft.