"Wir fühlten uns jede Woche beschenkt"
Die prominenten Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann weilten im Herbstsemester 2017 als Gastprofessoren am Institut für Jüdisch-Christliche Forschung. Die Verbindung zu Luzern möchte das Ehepaar beibehalten.
Aleida und Jan Assmann, was ist Ihr Eindruck von der Universität Luzern?
Aleida und Jan Assmann: Wir wurden sehr gastfreundlich aufgenommen und in allem effektiv unterstützt. Die Bürokratie hatte ein sehr freundliches Gesicht in Gestalt der Lehrstuhl-Sekretärin, die sich persönlich eingesetzt und mitgedacht hat. Von der Uni bleiben uns die grossen freundlichen Begegnungsräume, das hohe technische Niveau, die klaren orientierenden Wandfarben, der langsame Fahrstuhl und die wunderbare Aussicht in Erinnerung.
Wie erlebten Sie das Interesse an der Thematik Ihrer Lehrveranstaltungen, "Gedächtnis – Erinnern und Vergessen"?
Von den Studierenden waren wir hellauf begeistert. Sie haben so viele eigene Interessen, Forschungen und persönliche Erfahrungen mitgebracht, dass sie im Seminar das Programm thematisch selbstständig gefüllt und strukturiert haben. Einmal flogen auch die Fetzen, als diskutiert wurde, wie knallhart theoretisch ein methodischer Zugang sein darf oder ob immer alles mit Anschauung unterfüttert sein muss. Diese Kontroverse fochten die Studierenden selbst aus, wir hörten nur staunend zu. Gestaunt haben wir auch, wie viel an Bildungshintergrund, professionellen Kompetenzen, Problembewusstsein und Interesse an tagesaktuellen Themen vorhanden war. Jede Woche fühlten wir uns beschenkt.
Konnten Sie Luzern kennenlernen?
Wir müssen bekennen, dass wir uns meist in dem kleinen Dreieck zwischen Bahnhof, Uni und Hotel gedreht haben. Die Aussicht vom "Montana" haben wir aber ebenso genossen wie den nächtlichen Spaziergang auf dem frisch verschneiten Inseli. Wir haben inzwischen ein Halbtax-Abo und uns vorgenommen, in diesem Sommer ohne Vorträge wiederzukommen und uns dem See und den Bergen zu widmen!
Während Ihrer Gastprofessur durften Sie den renommierten Balzan-Preis entgegennehmen. Welches Forschungsprojekt ist mit dem Preisgeld geplant?
Dieses hat mit der Frage zu tun, wie Geschichte in Städten in Schichten sichtbar oder unsichtbar ist, umkämpft oder wertgeschätzt wird, und wie aus der Bevölkerung neue Erinnerungspraktiken hervorgehen. Luzern ist eine Stadt, die durch ihre gedeckten und bemalten Holzbrücken bekannt ist. Die historische Schicht der Kolonialgeschichte hat sie dagegen wie die Haut einer Schlange abgestreift: Der imposante Bahnhof brannte ab und an die Stelle der Post ist die neue Universität getreten.
Judaistikprofessorin Verena Lenzen, auf deren Einladung Sie in Luzern waren, forscht zur Antisemitismus-Konferenz 1947 in Uri. Sie konstatiert ein Fehlen einer diesbezüglichen Erinnerungskultur.
Wir haben sehr von Frau Lenzens Blick und ihrem Wissen profitiert, mit dem sie uns die Stadt erschlossen hat. Tatsächlich scheint es wenig Aufmerksamkeit und Interesse für die Kulturgeschichte der Stadt und die spannenden historischen Schauplätze in der Umgebung zu geben. Im Mittelpunkt des Selbstverständnisses der Stadt scheint der Verkehrs- und Durchgangsort zu stehen, der Ausbau der europäischen Nord-Süd-Achse durch Tunnel und Strassenführung. Eine zivilisatorische Ingenieursleistung ist ja auch ein Beitrag zum kulturellen Gedächtnis.
Bleibt die Verbindung zur Uni Luzern?
Das Reizvolle an einer Gastprofessur ist ja, dass man Kontakte knüpfen und akademische Projekte planen kann. Wir haben Allianzen geschmiedet und uns mit Frau Lenzen einiges vorgenommen, gerade auch hinsichtlich "Gedächtnis in der Stadt".
Interview: Dave Schläpfer
Newsmeldung 12. September 2017: Ankündigung der Doppel-Gastprofessur