Klimabewegung in den 90er Jahren: Die Alpen-Initiative

Was haben sympathische Bergler*innen, Misstrauen gegenüber dem Bundesrat und ein Mineralwasser auf langer Reise miteinander zu tun? Sie sind auf irgendeine Art und Weise mit der Alpen-Initiative verknüpft. Diese war am 16. November 2020 Thema im kulturwissenschaftlichen Seminar «Réduit als Quarantäne?» von Prof. Dr. Boris Previšic und Andreas Bäumler.

Für den Naturschutz im Hochgebirge setzt sich die Alpen-Initiative ein

Die Marke «Berg» gewann den diesjährigen «Teufelsstein». Wie bitte? Also: Ersteres ist ein Mineralwasser aus geschmolzenem grönländischem Gletschereis, das über tausende Kilometer in die Schweiz transportiert wird; Letzteres der Schmähpreis der Alpen-Initiative für unnötige Transportwege.
 

Die Abstimmung 1994
Die Alpen-Initiative war ein Vorstoss zum Schutz der Alpen gegenüber dem zunehmenden Transitverkehr, der am 20. Februar 1994 vom Schweizer Stimmvolk überraschend angenommen wurde. Für den damaligen Bundesrat war die Initiative extrem und europafeindlich, für die Initiatorinnen und Initiatoren ein notwendiger Schritt, um die Alpentäler vor Lärm und Verschmutzung zu schützen. Noch heute setzt sich der Verein der Alpen-Initiative für die Alpen als Lebensraum ein – unter anderem mit der jährlichen Verleihung des «Teufelssteins» und seines positiven Pendants, dem «Bergkristall».
 

Gründe für den Erfolg
In der öffentlich zugänglichen Online-Seminarveranstaltung zu «Réduit als Quarantäne. Eine konservativ-grüne Ideologiegeschichte von 1815 bis in die Gegenwart» waren Markus Züst, Mitbegründer der Alpen-Initiative, sowie der Historiker Romed Aschwanden, der seine Dissertation zu verschiedenen Alpenschutzbewegungen geschrieben hat, zu Gast. Gemeinsam mit den Seminarleitern sowie den Studierenden eruierten sie im Gespräch, welche Faktoren für den Erfolg der Alpen-Initiative entscheidend gewesen waren. Züst erachtete es als zentral, dass sich die Initiatorinnen und Initiatoren nicht einfach gegen den Warentransport über die Alpen gestellt, sondern Lösungsansätze wie die Verlagerung der Waren auf die Schiene präsentiert hatten. Zudem war es ihnen gelungen, Fakten (beispielsweise Luft- und Lärmmessungen) zu liefern sowie die Schweizer*innen mit ihrem offenen Auftreten emotional anzusprechen. So erzählte Züst beispielsweise vom «tanzenden Landamman». Es handelte sich hierbei um den damaligen Urner Landammann, Hansruedi Stadler, der im Vorfeld der Abstimmung versprochen hatte, im Falle der Annahme der Initiative zum Volkslied «Zoge am Boge» zu tanzen. Diesem Versprechen kam er am 20. Februar 1994 auf dem Hauptplatz Altdorf tatsächlich nach. Sympathisch, nicht?
 

Sprung in die Gegenwart
Schliesslich wurde auch das 21. Jahrhundert zum Thema. Zum Beispiel 2017: Die zweite Gotthardröhre wird vom Volk angenommen. Wieso bohrt man jetzt plötzlich weitere Löcher in die Berge, die doch eigentlich geschützt werden sollten? Einen möglichen Grund für den unterschiedlichen Ausgang der Abstimmungen 1994 und 2017 lieferte Aschwanden: Das Vertrauen in den Bundesrat, der die Alpen-Initiative 1994 bekämpft und sich 2017 für die zweite Röhre eingesetzt hatte, war in den 90er-Jahren bedeutend tiefer als in den 2010er Jahren. 1994 hallten noch die «Affäre Kopp» und der «Fichenskandal» nach – 2017 genoss der Bundesrat in der Schweizer Bevölkerung grossen Rückhalt. Trotzdem meinte Züst: 2020 würde die zweite Gotthardröhre wohl nicht mehr angenommen werden; die präsente Klimabewegung würde dies zu verhindern wissen.

Die gegenwärtige Klimabewegung wurde nicht explizit diskutiert, aber vielleicht könnte sie sich aufgrund der Diskussionspunkte ein Erfolgsrezept zusammenreimen: Man nehme einsatzfreudige Sympathieträger*innen, konstruktive Lösungsvorschläge, viel Motivation und mixe alles in der Hoffnung, dass sich die Gegnerseite in einem Vertrauenstief befindet. À propos Rezept: Um 11.45 Uhr endete die Veranstaltung pünktlich aufs Mittagessen – Hunger und Durst konnten gestillt werden. Sicherlich nicht mit einem Mineralwasser der Marke «Berg».
 

Dieser Beitrag wurde von der Studentin Corinne Huwyler verfasst. Sie studiert Geschichte und Politikwissenschaft im Master.