Kein gutes Klima für Papst Franziskus
Der italienische Journalist Marco Politi verfolgt das Geschehen im Vatikan seit Jahrzehnten. An der Otto-Karrer-Vorlesung am 20. März 2019 zeigte er, welcher Wind Papst Franziskus entgegenweht.
"Die zweite Halbzeit des Pontifikats von Papst Franziskus hat begonnen. Und man muss sagen, viele Leute haben Angst vor den Reformen, die das Kirchenoberhaupt im Sinn hat." Marco Politi war über 20 Jahre Berichterstatter aus dem Vatikan für die italienische Zeitung "La Repubblica" und ist Verfasser von Büchern über die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus.
Mit der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio im März 2013 zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche erfuhr diese einschneidende Veränderungen. Franziskus musste Ordnung in die Vatikanbank bringen und er wollte die Führungsstruktur innerhalb der Kirche neugestalten. Weg von einem Papsttum, das sich als Monarchie versteht. Hin zu einer Kirche, die sich den Herausforderungen auf dieser Welt stellt und aus dem Glauben, aus dem Evangelium heraus darauf antwortet.
Widerstand von Innen
Dieses Ziel verfolgt Franziskus immer noch. Doch wie Politi in seinem Vortrag in der Jesuitenkirche darlegte, wehte ihm bald ein heftiger Wind entgegen. Dies habe sich in kritischen Äusserungen, ja offenem Widerstand von Mitarbeitern aus dem engsten Kreis gezeigt. Franziskus habe einmal gesagt, so Politi: Gegen den Wind zu rudern sei streng. Wenn aber auch die Matrosen gegen den eingeschlagenen Kurs ruderten, sei ein Vorankommen kaum möglich.
Eine andere Form von Widerstand, der sich Franziskus je länger, je mehr ausgesetzt sieht, ist Passivität. Als Beispiel nannte Politi die Konferenz zu den Missbrauchsfällen in der Kirche von Februar dieses Jahres. Der Papst habe die Präsidenten der Bischofskonferenzen aus der ganzen Welt dazu einbestellt. "Aber es ist nicht gelungen, eine gemeinsame Erklärung abzugeben", so der Vatikankenner. Daraus folgert Politi: "Die Mehrheit der Bischöfe weltweit hat Angst. Angst davor, dass noch viel mehr Missbrauchsfälle ans Licht kommen."
Spürbare Verunsicherung
Wenn auch die Missbrauchsdebatte momentan die Wahrnehmung der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit präge, so gelte es, nach sechs Jahren Pontifikat von Franziskus dessen Errungenschaften nicht zu vergessen. So habe sich der Papst – nicht zuletzt dank den Erfahrungen aus seiner Heimat Argentinien – von Beginn weg für Offenheit und Verantwortung stark gemacht. Dies zeige sich in seinem auch stark persönlich motivierten Einsatz für soziale Gerechtigkeit, für Frieden und den sorgsamen Umgang mit der Umwelt. Und noch nie habe ein Papst gegenüber Andersdenkenden so viel Wertschätzung gezeigt wie Franziskus, so Politi.
Doch diese Offenheit scheint auch für Verunsicherung zu sorgen. Wie Marco Politi erläuterte, scheinen Themen wie dezentrale Entscheidungskompetenzen, die Mitwirkung der Frauen in Leitungsämtern auf allen Ebenen oder das Ende eines Absolutheitsanspruchs in der katholischen Kirche mancherorts für Verwirrung zu sorgen. Das führte so weit, dass Franziskus von ehemaligen hochrangigen Kardinälen der Häresie, der Abweichung vom Glauben, bezichtigt wurde.
Umgekehrt erfährt der Papst auch Unterstützung aus Kirchenkreisen – aber doch zu wenig, wie es Marco Politi scheint. Und so schloss der Vatikankenner die Otto-Karrer-Vorlesung mit der Feststellung: "Die Amtszeit von Papst Franziskus ist kein niedliches Pontifikat, sondern viel mehr dramatisch. Und dramatisch ist auch die Passivität der Menschen in der Kirche. Mehr kann ich nicht sagen; ich bin nur ein Beobachter."
Bericht: Martin Spilker
Die Otto-Karrer-Vorlesung an der Theologischen Fakultät will die Erinnerung an Person und Werk des in Luzern tätigen deutschen Theologen Otto Karrer (1888-1976) wach halten. Ziel der Vorlesungen ist es, den ökumenischen Gedanken in Theologie und Kirche im Sinne Karrers weiterzutragen.
Buchhinweis: Marco Politi «Franziskus unter Wölfen. Der Papst und seine Feinde», Herder, Freiburg i. Br., 2015.
Interview mit Marco Politi im "Tagesgespräch" vom 26.03.2019:
Martin Spilker ist Redaktor bei der Onlineplattform kath.ch und Mitglied des Institutsrats des Ökumenischen Instituts Luzern.