Gesundheit: Fokus auf alle Geschlechter

Neu können Studierende der Medizin im sechsten Studienjahr das Wahlpflichtmodul «Gender-Medizin» besuchen. Es handelt sich um ein Pilotprojekt, das von swissuniversities gefördert wird.

Veranstaltung des Moduls "Gender-Medizin"
Die Modul-Teilnehmenden mit Kursleiterin Dr. Tanja Volm (vorne, zweite v. l.) (Foto: Deborah Vogel)

Welche Rolle spielt Gender im Spital? Worauf müssen Ärztinnen und Ärzte achten im Umgang mit queeren und transgeschlechtlichen Menschen? Wie lässt sich Gender-Bias – also die verzerrte Wahrnehmung, Bewertung und Darstellung aufgrund von Geschlechter-Stereotypen – erkennen? Mit diesen und weiteren Fragen setzen sich Studierende im neu aufgebauten Modul «Gender-Medizin» auseinander.

Vermittlung in Theorie und Praxis

Das Projekt «Gender Health and Medicine» (GeHeMed; siehe Box), das unter anderem den Aufbau des Moduls umfasst, startete Anfang 2021. Ziel ist es zum einen, Diversität, Chancengleichheit und Inklusion zu festen Bestandteilen des Joint Medical Masters der Universitäten Luzern und Zürich zu machen. Der Fokus in der Medizin soll also nicht nur auf einer bestimmten Gruppe von Menschen, sondern auf allen Geschlechtern liegen. Zum anderen geht es darum, eine Brücke zwischen verschiedenen Professionen im Gesundheitswesen sowie zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung zu schlagen. Das Wahlpflichtmodul findet in einer Mischform aus Vorlesungen und interaktiven Veranstaltungen am Lehrspital Hirslanden Klinik St. Anna statt.

Das Modul bietet eine ganzheitliche Sicht auf die menschliche Gesundheit und zieht die Sicht von Patientinnen und Patienten mit ein. Thematisiert wird unter anderem die geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten. Der Nationalrat hat kürzlich einen entsprechenden Vorstoss an den Ständerat überwiesen: Gefordert wird eine Abkehr vom «männlichen Prototyp» in der Medizin hin zur Förderung der Forschung zur Gender-Medizin. «Dies verdeutlicht die Aktualität und gesellschaftliche Relevanz des Projekts», sagt Iris Rothäusler, Departementsmanagerin am Departement für Gesundheitswissenschaften und Medizin sowie Projektverantwortliche.

Gemäss Prof. Dr. med. Andreas Gutzeit, Dozent des Moduls und Facharzt für Radiologie und Psychologe an der Hirslanden Klinik St. Anna, gibt es bei genderspezifischen Themen teilweise grosse Unsicherheiten und erhöhten Forschungsbedarf. Dabei fallen Bildungslücken und Stereotype auf verschiedenen Ebenen auf, die mit diesem Modul angesprochen und verändert werden sollen. Das Modul Gender-Medizin fokussiert dabei nicht nur auf weibliche Patientinnen, sondern es soll die ganze Vielfalt aller Menschen und auch die Bedürfnisse von Männern und queren Menschen berücksichtigt werden. So soll beispielsweise bei häuslicher Gewalt auch das Szenario von Männern als Betroffene miteinbezogen werden, was bei medizinischen Fachkräften oft nicht bekannt ist und meist nicht erkannt wird. Um praxisnahe Effekte zu trainieren, wurden bereits bei Kursen mit Andreas Gutzeit an der ETH Zürich professionelle Schauspieler ausgebildet, die auch im Gender-Medizin-Kurs  unter neuen Voraussetzungen eingesetzt werden. Auf diese Weise können Studierende für die Thematik sensibilisiert und als angehende Ärztinnen und Ärzte dafür befähigt werden.

Modul stösst auf grosses Interesse

Dr. med. Tanja Volm, Kursleiterin des Moduls und Geschäftsführerin am Hirslanden Institute for Medical Education (HIMED), zieht eine erste Bilanz: «Wir fanden die Erarbeitung des Moduls Gender-Medizin anspruchsvoll, aber auch sehr bereichernd.» Dies vor allem, da es sich auch national um ein recht neues Thema in der studentischen Lehre von künftigen Ärztinnen und Ärzte handle. «Wir haben versucht, einen breiten thematischen Bogen zu spannen und dürfen erleben, dass die Studierenden mit grossem Interesse bereit sind, sich auf das Thema einzulassen.»

Das Modul «Gender-Medizin» soll voraussichtlich ab Herbst 2024 als Plicht-Veranstaltung ein obligatorischer Teil des Studiums werden, sodass alle Studierenden der Medizin im Laufe ihres Studiums das Programm absolvieren und damit eine nachhaltige Wirkung der Lerninhalte gewährleistet ist.

Eine «Basisanforderung»

Obwohl dringend gefragt: Für eine grossflächige Etablierung von Gender-Medizin in der Praxis brauche es noch Zeit, so Tanja Volm: «Die Herausforderung wird sein, Gender-Medizin grundsätzlich in der Lehre zu verankern.» Es handle sich um kein neues Fachgebiet der Medizin, sondern, wie Volm betont, um eine «Basisanforderung». Sie sei «aber guten Mutes, dass vor allem die Studierenden den Ansatz in ihre Praxis übernehmen werden und sich die Medizin so weiter in Richtung einer individualisierten und inkludierenden Medizin entwickelt».
 

Projekt mit Innovationspotenzial

«Gender Health and Medicine» (GeHeMed) ist im Rahmen des nationalen Programms «P-7 Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit in der Hochschulentwicklung (2021–2024)» verortet. Die Koordination läuft über swissuniversities, der Dachorganisation der Schweizer Hochschulen. swissuniversities zufolge werden «Projekte einzelner Hochschulen oder hochschulübergreifende Kooperationen gefördert, die Innovations- und Transferpotenzial aufweisen». Dafür stehen insgesamt 5 Mio. Franken des Bundes zur Verfügung. Stellen der Universität Luzern sind auch noch an anderen Projekten in «P-7» beteiligt bzw. fungieren, wie im Falle der Realisierung eines hochschulübergreifenden Aktionstags gegen sexuelle Belästigung, als sogenanntes «Leading House».
Informationen zum Programm «P-7»
Projektbeschrieb GeHeMed
Interview zur Thematik im Magazin «Primary and Hospital Care»