Dem Unaussprechlichen Gestalt geben

Wer ist dieser Jesus Christus? Mit dieser ebenso offenen wie richtungsweisenden Frage beschäftigt sich Theologie. Aber nicht nur sie. Was in den neutestamentlichen Schriften über Jesus zu finden ist, ist ebenso vielfältiger Ausgangspunkt für die Kunst. Auch sie sucht und findet immer wieder neue Zugänge zur Gründerfigur der christlichen Religion.

Foto: Roberto Conciatori

Die Professur für Dogmatik der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern richtete dabei einmal mehr das Augenmerk auf die Musik. Die Veranstaltung Theologie und Musik: Das Leben Jesu vom 13. bis 16. Mai war gleichzeitig Jahrestagung 2021 der Schweizerischen Theologischen Gesellschaft, die aufgrund der geltenden Einschränkungen online stattfand.

Dem Glauben mehr als Stimme geben

Der Ende Sommersemester in den Ruhestand tretende Luzerner Dogmatikprofessor Wolfgang Müller hat für die Tagung Fachleute aus Musik, Musikwissenschaft und Theologie eingeladen, der Rolle der Musik für den Glauben auf den Grund zu gehen. Dabei wurde rasch deutlich, welche Bedeutung der geistlichen Musik im Lauf der Jahrhunderte bei der Vermittlung von Glaubensinhalten zugekommen ist. Als wesentlicher Aspekt wurde von den Referentinnen und Referenten aber immer wieder hervorgehoben, dass mit der Musik mehr als überlieferter Text und Traditionen zugänglich gemacht werden können.

Dass die Musik den Menschen auf einer Gefühlsebene anspricht, wurde und wird in zahlreichen Religionen erkannt und mit Blick auf das Glaubensleben weit über den eigentlichen Kult hinaus als wertvolle Form der Verkündigung erkannt. Das ist auch in der Schriftreligion Christentum nicht anders. Über Jahrhunderte waren schriftliche Quellen der Kirche nur einem sehr kleinen Teil der Gläubigen zugänglich. Gesänge und Instrumentalmusik – hier insbesondere die Orgel – ermöglichten den Gemeindemitgliedern im Gottesdienst, sich weit über das Wort hinaus ansprechen und berühren zu lassen.

Während mit der Reformation Anfang 16. Jahrhundert in den protestantischen Kirchen in der Liturgie die Volkssprache Einzug hielt, erfolgte dieser Wechsel in der katholischen Messe erst im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren. Doch in beiden Konfessionen entwickelte sich eine musikalische Ausdrucksweise, die der Gemeinde über Predigt und Abendmahlsfeier hinaus eine wichtige Orientierungsmöglichkeit bot. Die Vielfalt biblischer Text und die Struktur der Gottesdienste ermöglicht es Gläubigen bis heute, sich über die musikalischen Elemente der Feier unmittelbar von Glaubensinhalten ansprechen zu lassen und sich so dem Leben Jesu ganz sinnlich zu nähern.

Verkündigung auch ausserhalb der Kirche

Dass diese Art der Vermittlung auf künstlerisch höchstem Niveau stattfand, wurde an der Tagung besonders an den Beispielen der Kirchenmusiker Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Charles Tournemire (1870-1939) deutlich gemacht. Und dass in diesem Bereich zahlreiche Fachleute sowohl in der Musik, der Musikwissenschaft wie der Theologie gleichzeitig zuhause sind, zeigte bei der Wahl der Referentinnen und Referenten, wie eng diese Forschungsgebiete miteinander verknüpft sind.

Der geistlichen Musik kommt in der säkularisierten Zeit aber auch im Rahmen des Konzertbetriebes eine bedeutende Rolle zu. Dass dabei urchristliche Inhalte und – sich im Lauf der Zeit verändernde Werte – einem breiten Publikum zur Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden, ist die Stärke der künstlerischen Ausdruckform, die sich auch in der Gegenwart weiterentwickelt. Dies wurde einmal mehr besonders an den Orgelmeditationen im Rahmen der Tagung deutlich, die dieses Jahr allerdings lediglich von einer begrenzten Zahl Besucherinnen und Besuchern verfolgt werden durften.

Dem breiten Themenfeld «Musik – Kirche – Theologie» wurde an dieser Jahrestagung ein weiter Interpretationsspielraum gelassen. Eine Weiterführung in diesem internationalen Rahmen ist sicher wünschenswert.

18. Mai 2021; Martin Spilker, Journalist, Mitglied des Institutsrates des Ökumenischen Instituts Luzern

Impressionen

Foto: Roberto Conciatori
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