Debatte um «moderate» Religion

Wann gilt eine Religion als «moderat»? An der Universität Luzern diskutierten Expert:innen über die gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Religionen im Allgemeinen sowie die Rolle des Islams im Speziellen.

Vortrag «’Moderate’ und ‘strikte’ Religion in der Schweiz» präsentiert von Prof. Dr. Jörg Stolz. (Bild: Religionswissenschaftliches Seminar)

Das Religionswissenschaftliche Seminar der Universität Luzern war im Auftrag der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft Gastgeberin der Tagung «Moderate Religion». Spezifisch die Debatte um den «moderaten» Islam hält nahezu zwanzig Jahre an und doch ist sie immer noch relevant. Diskussionen darüber bieten wertvolle Einblicke in unsere gesellschaftlichen Werte.

Was ist eine «moderate Religion»?

Eine Religion gilt, als «moderat», wenn ihre Werte mit der Gesellschaft übereinstimmen, zum Bespiel in Fragen der Gleichberichtigung zwischen Mann und Frau oder – weniger fundamental – in der Einhaltung von Ruhezeiten. Eine Religion, die als «moderat» bezeichnet wird, erfüllt gesellschaftlich Forderungen und Erwartungen und wird somit als akzeptabel beurteilt. Fehlt diese Übereinstimmung, wird die Religion oft als «radikal» oder «strikt» klassifiziert.

Einerseits ist der Begriff «moderat» stark von aktuellen Debatten geprägt, andererseits benötigt es eine klare Definition, um Missverständnisse zu vermeiden. Bei den Gesprächsteilnehmenden der Tagung blieben jedoch Zweifel, ob in öffentlichen Debatten um «moderate» Religion Akteure wie die Medien eine wissenschaftliche Definition berücksichtigen würden.

Debatte um «moderaten» Islam

Der Begriff «moderat» wird häufig in öffentlichen Debatten um Religionen wie dem Islam und als Gegensatz zu den Begriffen «strikt» oder «radikal» verwendet. Diese Bezeichnungen beruhen jedoch häufig auf einem Missverständnis des Islams.

Besonders intensiv wurde diskutiert, inwiefern ein «moderater» Islam von Muslim:innen konzeptualisiert wird und wie europäische Staaten und Institutionen einen «moderaten» Islam verstehen und fördern. Möglichkeiten zur Förderung wären beispielsweise die finanzielle Unterstützung muslimischer Gemeinden für die Ausbildung von Imamen. Auch können Institutionen wie öffentliche Bildungsstätte ein Ort des Dialog zwischen Staat und Muslim:innen bilden.

Vielseitige Inputs für eine breite Öffentlichkeit

An die Tagung reisten Religionswissenschaftler:innen aus der ganzen Schweiz und dem Ausland an. Dadurch ergaben sich verschiedene regionale Schwerpunkte in den Vorträgen zu den Religionen Buddhismus, Christentum und Islam. Während zwei Tagen konnten Interessierte an vier Panels zu unterschiedlichen Themen teilnehmen wie beispielsweise religiöser Radikalismus im säkularen Kontext oder religiöse Übertragung und familiäre Sozialisation unter religiös Engagierten. Der geografische Fokus der Vorträge war breit gesetzt von Deutschland über den Balkan bis zu Tibet.

Auch die religiöse Entwicklung in der Schweiz wurde diskutiert. Im ersten Panel stellte Prof. Dr. Jörg Stolz von der Universität Lausanne die Ergebnisse einer Studie zu «moderater» und «strikterer» Religion in der Schweiz vor. Besonders spannend: Die Religionsgemeinschaften in der Schweiz werden generell moderater in Bezug auf die Akzeptanz der LGBTQ+-Community und Frauen in Führungspositionen.

Der Vortrag von Dr. Andreas Tunger-Zanetti (Universität Luzern) handelte vom «moderaten Islam» in der Schweiz und der Frage: Wer sind die „moderaten“ Muslim:innen? In seinem Forschungsprojekt befragte er dazu Muslim:innen, welche sich selbst als «moderat» identifizieren und in öffentlichen Debatten als solche bezeichnet werden. Gemeinsame Merkmale dieses Verständnisses waren die Betonung von Geschlechtergleichberechtigung, eines säkularen Staates und der Menschenrechte.

Wegweisende Erkenntnisse

Die Tagung verdeutlichte die Komplexität und Vielschichtigkeit des Begriffs «moderat» in der Religionswissenschaft und der öffentlichen Debatte. Sie zeigte, dass ein tieferes Verständnis notwendig ist, um Missverständnisse zu vermeiden und den Dialog zu fördern. Die Diskussionen und Erkenntnisse der Tagung bieten wertvolle Impulse für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema in Wissenschaft und Gesellschaft.

 

Dieser Artikel wurde von Anja Wyss, Bachelor-Studentin der Kulturwissenschaften, verfasst.