«Es braucht eine umfassende Sicherheit»
Im Rahmen der «Presidential Lectures» zeigte Korpskommandant Thomas Süssli auf, welche Herausforderungen die Schweizer Armee zu bewältigen hat. Der Chef der Schweizer Armee betonte dabei die Wichtigkeit, auf die sich rasant wandelnden Rahmenbedingungen rechtzeitig zu reagieren.
Für die «Presidential Lecture» konnte wiederum ein prominenter Redner gewonnen werden: Thomas Süssli sprach in der siebten Ausgabe der Reihe über die Notwendigkeit, die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz zu stärken. Der Chef der Schweizer Armee schlug einen Bogen von den Anfängen der modernen Schweiz nach dem Sonderbundskrieg bis hin zu einer Armee im Jahr 2050.
Neue Rollen für die Armee
Süssli zeichnete zunächst das Bild der Schweiz als kleines, aber durchaus wehrhaftes Land. Diesen Ruf habe die Schweiz lange Zeit nicht zuletzt dank der Milizarmee genossen. So habe ein Bericht der Regierung aus dem Jahr 1988 postuliert, dass die Schweiz keine Armee habe, sondern vielmehr eine sei. Diese Haltung habe die Schweizer Verteidigungspolitik über Jahrzehnte geprägt, erläuterte Thomas Süssli.
Doch um die Herausforderungen zu verstehen, die eine Armee im Herzen Europas heutzutage meistern müsse, sei es zentral, sich von althergebrachten Kriegsbildern zu lösen. Kampfhandlungen beschränkten sich nicht mehr auf Infanterie, Artillerie und Luftwaffe. Moderne Bedrohungen wie Cyberangriffe oder hybride Konflikte, die durch diplomatischen und politischen Druck entstehen, erfordern neue Mittel der Kriegsführung, so die Argumentation.
In den letzten Jahren habe sich die geopolitische Lage verschärft, was eine umfassende Neuausrichtung der Verteidigungsstrategie erfordere. Die Welt sei komplexer und gefährlicher geworden, führte Süssli aus – die Schweiz müsse in der Lage sein, sich in einem solchen Umfeld zu verteidigen.
Globale Kräfte und ihre Auswirkungen
Korpskommandant Süssli skizzierte – gestützt auf den Autor Thomas L. Friedman – drei globale Entwicklungen, die unsere Welt gerade rasend schnell verändern: den Klimawandel, die sogenannte vierte industrielle Revolution und die Globalisierung. Diese Entwicklungen würden auch die Schweiz beeinflussen. Die Auswirkungen des Klimawandels seien gerade dieser Tage wieder schmerzlich spürbar geworden. Am stärksten betroffen werde wohl Afrika sein; die dadurch ausgelösten Migrationsbewegungen hätten das Potenzial, Europa zu destabilisieren.
Die vierte industrielle Revolution habe einen starken Einfluss auf militärisch genutzte technologische Entwicklungen wie Drohnen, Robotik und künstliche Intelligenz. Die Kampffelder seien quasi gläsern geworden, sodass Streitkräfte künftig klein, unsichtbar und immer in Bewegung bleiben müssten. Um ihre Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten, müsse die Schweiz in diesen Bereichen auf dem neuesten Stand bleiben.
Herausforderungen durch Machtpolitik
Die Rückkehr der Machtpolitik und das Streben von China und Russland nach einer multipolaren Weltordnung stelle die Schweiz vor neue Herausforderungen. Putins Ambitionen in Osteuropa würden die baltischen Staaten und auch Länder wie Polen und Deutschland verunsichern. Diese Entwicklungen erfordern eine klare Positionierung der Schweiz in der internationalen Politik, folgerte der Chef der Armee.
So müsse die Schweiz ihre Verteidigung neu definieren. Eine glaubwürdige Verteidigung der Souveränität auf dem Boden, in der Luft und im Cyberraum sei dabei das Ziel. Generell sei Verteidigung ganzheitlicher zu betrachten. «Es braucht eine umfassende Sicherheit», erklärt Süssli. Dazu zähle auch die Resilienz der Schweiz über die Armee hinaus. Eine wichtige Rolle spiele auch die Kooperation mit anderen Staaten. Als Beispiel nannte Süssli die Einführung von «Sky Shield», einer gemeinsamen Luftverteidigungsinitiative in Europa.
Gleichzeitig sei die Diskussion über die Schweizer Neutralität aktueller denn je und mit Blick auf die Schweizer Identität zentral. So stünden sich eine rechtskonservative Auslegung der Neutralität, die als bewaffnete Neutralität gedacht wird und auf Abschottung abzielt, und von linker Seite ein Verständnis von Neutralität als aktiver Friedenspolitik gegenüber.
Diskussion mit dem Publikum
Im Anschluss an das Referat moderierte SRF-Journalistin Katja Stauber eine Diskussionsrunde mit Thomas Süssli, dem NZZ-Bundeshausredaktor und Militärexperten Georg Häsler sowie Rektor Bruno Staffelbach, ehemaliger Brigadier. Die Runde diskutierte unter anderem über die Haltung von Studierenden zum Militär, über die Kosten und Möglichkeiten eines NATO-Beitritts sowie über die Anschaffung neuer Waffensysteme für die Armee. Abschliessend thematisierte Süssli die Frage der Unterstützung aus der Wirtschaft. Diese scheine vermehrt bereit, die Armee zu unterstützen. Neben dem finanziellen Preis der Armee werde zunehmend auch der Wert wahrgenommen, den die Armee bietet.
Der Referent
Vor seiner Ernennung zum Chef der Schweizer Armee im Jahr 2020 absolvierte Thomas Süssli eine Karriere in der Privatwirtschaft und im militärischen Bereich. Er startete seine berufliche Laufbahn nach dem Abschluss seiner Grundausbildung zum eidg. dipl. Programmierer/Analytiker und vertiefte sein Fachwissen mit einer Weiterbildung zum eidg. dipl. Wirtschaftsinformatiker. Es folgte ein Executive Master of Business Administration von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur. Nach einer führenden Rolle bei UBS von 1989 bis 2001 leitete er die IFBS AG in Zürich. Seine Finanzkarriere setzte er bei der Bank Vontobel und der Credit Suisse fort, bevor er 2014 als CEO nach Singapur zu Vontobel Financial Products wechselte und 2015 in das Berufsoffizierskorps eintrat. Seine militärische Laufbahn zeichnet sich durch diverse Führungspositionen und eine tiefe Verpflichtung zur stetigen Verbesserung der Armee aus. Seit 2020 konzentriert er sich als Chef der Armee auf die Modernisierung der Streitkräfte und betont die Bedeutung der Cyberverteidigung.