Breiter Blick auf das Energierecht

Vom Ausbau der Windenergie bis zur Bedeutung des Stromabkommens mit der EU: Diese und weitere Themen diskutierten Fachpersonen an der 7. Energierechtstagung, die von Prof. Dr. Sebastian Heselhaus und Dr. Markus Schreiber geleitet wurde.

Das Jahr 2024 war reich an energierechtlichen Ereignissen. Anfang Februar trat der «Windexpress» in Kraft, der fortgeschrittene Windenergieprojekte beschleunigen soll. Im März verabschiedete der Bundesrat das endgültige Verhandlungsmandat mit der EU und berücksichtigte dabei auch den Stromsektor. Im April verkündete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil in Sachen Klimaseniorinnen, das weit über die Schweiz hinaus Aufmerksamkeit erhalten hat. Im Juni wurde die seit Langem erwartete Revision des Schweizer Energierechts im Rahmen des sog. «Mantelerlasses» in der Referendumsabstimmung angenommen. Währenddessen erhielten erste Projekte des «Solarexpresses» ihre Bewilligung und mit dem «Beschleunigungserlass» steht bereits das nächste Gesetzgebungsprojekt an.

Vor diesem Hintergrund diskutierten am 15. November 2024 unter der Tagungsleitung von Prof. Dr. Sebastian Heselhaus und Dr. Markus Schreiber Fachpersonen aus Anwaltschaft, Verbänden und Wissenschaft die aktuellen Fragen, die sich aus dem dynamischen Regulierungsumfeld in wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Hinsicht ergeben. Die Tagung war Bestandteil der Forschung an der Kompetenzstelle für Energierecht (Competence center for Energy Law Lucerne, CELL), dem Zentrum für Recht und Nachhaltigkeit (Center for Law and Sustainability, CLS) und dem Institut für Wirtschaft und Regulierung (WiRe).

Versorgungssicherheit und Stromabkommen

Zu Beginn der Tagung referierte Stefan Dörig von Swisscleantech zum geplanten bilateralen Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Herr Dörig war selbst von 2013 bis 2017 als Mitglied der Mission der Schweiz bei der EU mit diesem Dossier befasst. Er betonte die Bedeutung eines solchen Abkommens gerade vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit und der Integration der Schweiz im europäischen Stromnetz. Als Problem identifizierte er insbesondere, dass sich der europarechtliche Rahmen stetig verändere, weshalb sich die Regulierungsvorgaben zwischen der Schweiz und der EU zuletzt weiter auseinanderentwickelt hätten.

Erste Erfahrungen mit dem «Solarexpress»

Als nächstes berichtete Peter Stutz, Geschäftsführer der Morgeten Solar AG, vom schweizweit ersten Projekt des sogenannten «Solarexpresses», das eine Baubewilligung erhalten hat. Das alpine Photovoltaik-Grossprojekt im Berner Oberland überzeuge insbesondere durch innovative technische Lösungen. Um die Akzeptanz zu fördern, habe man frühzeitig nicht nur mit den zuständigen Behörden, sondern auch relevanten Umwelt- und Landschaftsschutzorganisationen Kontakt aufgenommen. Diese hätten fast sämtlich von dem Projekt überzeugt werden können. Dennoch habe ein Landschaftsschutzverband gegen das Vorhaben Beschwerde erhoben.

Der aktuelle Stand bei der Windenergie

Nach der Cafépause erläuterte Dr. Tom Pleiner von der Rechtsanwaltskanzlei Kellerhals Carrard den aktuellen Stand beim Ausbau der Windenergie. Dabei ging er vor allem auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts ein, insbesondere auf das Urteil zum Windpark «Grenchenberg» sowie gleich auf mehrere Entscheide zum Windpark Tramelan. Die langen Verfahrensdauern wirkten sich unter anderem auf die technischen Lösungen aus, da häufig zum Abschluss der Verfahren bereits veraltete Technologien verwendet werden müssten. Sowohl das Bundesrecht als auch kantonale Gesetzgebungsvorhaben enthielten daher beschleunigende Massnahmen im Planungsrecht.

«Beschleunigungserlass» (Produktionsanlagen) und «Netzexpress»

Im Anschluss nahm Nicole Neuhaus vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen zu zwei aktuell laufenden Gesetzgebungsvorhaben Stellung. Im «Beschleunigungserlass» sehe der Bund konzentrierte Plangenehmigungsvorhaben der Kantone vor, um den Bau von Anlagen zur Stromproduktion aus erneuerbaren Energieträgern zu vereinfachen. Entscheidend für die Ausbauziele sei aus Sicht der Referentin aber vor allem der ebenfalls erforderliche Ausbau der Stromnetze. Diese seien Gegenstand des sog. «Netzexpresses», der u.a. einen Interessenvorrang bestimmter Stromleitungen sowie weitere Verfahrenserleichterungen vorsehe.

Das KIG und der Klimaseniorinnen-Entscheid

Nach der Mittagspause analysierte Prof. Dr. Sebastian Heselhaus den aufsehenerregenden Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Schweizer «Klimaseniorinnen». In materieller Hinsicht könne er die Aufregung, die der Entscheid in der Schweizer Öffentlichkeit ausgelöst habe, nicht verstehen. Die Begründung des Gerichts orientiere sich an den Verpflichtungen, die sich bereits aus dem Pariser Übereinkommen ergäben. Im Ergebnis hätte man aber auf eine Verurteilung der Schweiz verzichten können, da diese nunmehr im Klima- und Innovationsgesetz klare Vorgaben zum Klimaschutz aufstelle. Eine gewichtige Fortentwicklung brachten die Ausführungen zur Zulässigkeit, da die Klagebefugnis der einzelnen Frauen verneint wurde, um stattdessen eine Art ideeller Klima-Verbandsbeschwerde zu kreieren. Es müsse aber beachtet werden, dass der Gerichtshof zunächst die Beschwerdebefugnis der einzelnen Frauen – wohl um eine Prozessflut zu vermeiden – beim Klimaschutz gegenüber den bisherigen Umweltschutzfällen verschärfte und die daraus entstehende Rechtsschutzlücke mit der Verbandsbeschwerde stopfte, die sich seiner Ansicht nach eher in die Rechtsschutzsysteme der EMRK und der Vertragsstaaten einpassen liesse.

Lokale Elektrizitätsgemeinschaften und «virtuelle ZEV»

Die gesetzlichen Neuerungen zu sog. «Prosumern», d.h. Haushaltsverbrauchern, die selbst beispielsweise über eine eigene Solaranlage Strom erzeugen, stellte Hans-Heiri Frei von den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich vor. Der sogenannte «Mantelerlass», der im Juni angenommen wurde, stelle hierfür zwei neue Arten der Kooperation zur Verfügung. Zum einen werde der Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) zum sog. «virtuellen» ZEV erweitert. Bei diesem könnten die Anschlussleitungen des öffentlichen Netzes genutzt und die Zählerstände der verschiedenen Haushalte addiert werden, anstatt wie beim herkömmlichen ZEV nur einen einzigen Zähler vorzusehen. Zum anderen würden neu lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) eingeführt, die dem Stromhandel der Haushalte untereinander dienten. Der Referent erläuterte die technischen und administrativen Herausforderungen, die sich aus diesen neuen Modellen für die Energieversorgungsunternehmen ergäben.

Verfahrensbeschleunigung im «Mantelerlass»

Zum Abschluss der Tagung betrachtete Dr. Markus Schreiber, Oberassistent am Lehrstuhl von Prof. Dr. Sebastian Heselhaus, die verschiedenen Beschleunigungsmassnahmen im «Mantelerlass» aus gesetzessystematischer Sicht. Gemeinsam mit der Vielzahl an «Expresserlassen» führten diese zu einer kaum noch durchschaubaren Vielfalt an unterschiedlichen Verfahrensvoraussetzungen. So würde etwa das nationale Interesse an der Energieerzeugung unterschiedlich gehandhabt, und auch für einzelne Anlagentypen wie z.B. grosse Solaranlagen ergäben sich je nach anwendbarem Spezialerlass unterschiedlichste Anforderungen. Der Referent rief daher dazu auf, die «Expressgesetzgebung» zu überwinden und wieder vermehrt die Kohärenz des Rechtsrahmens in den Blick zu nehmen.

Die Standpunkte der Referierenden wurden im Anschluss an die Vorträge beim gemeinsamen Apéro weiter diskutiert. Die Beiträge der Tagung werden nächstes Jahr als Teil der Schriften zum Energierecht einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Agendaeintrag und Präsentationen