Bericht über Salafismus in der Deutschschweiz

Während drei Jahren hat ein Team des Zentrums Religionsforschung der Universität Luzern zu jenen Musliminnen und Muslimen geforscht, die als besonders strenggläubig gelten. Nun liegt der Bericht vor. Er zeigt, wie heterogen diese Richtung ist und wie an der Salafiyya orientierte Personen zu Staat und Gesellschaft stehen.

Deckblatt Studie Salafiyya in der Deutschschweiz
Der Bericht ist ein Ergebnis dreijähriger Forschung zu Erscheinungsformen des 'Salafismus' in der Deutschschweiz.

Das Forschungsteam schätzt die Zahl der Salafis in der Deutschschweiz auf 400 bis 1100. Diese pflegen eine Glaubenslehre und -praxis des sunnitischen Islams, die durch spezifische Merkmale charakterisiert ist, darunter zentral die Orientierung am Vorbild der ersten Generationen muslimischer Gläubiger. Das Team unterscheidet hauptsächlich drei Segmente («Cluster») von Salafis mit je unterschiedlichem Profil, die sich mitunter entschieden voneinander abgrenzen. Unbeachtet von der Öffentlichkeit war bisher jener Cluster, dessen Kern Schweizer Studenten der Islamischen Universität Medina bilden. Sie legen grossen Wert auf die Vermittlung religiösen Wissens und agieren völlig apolitisch. Ein zweiter Cluster umfasst die wenigen Dutzend Aktivmitglieder des «Islamischen Zentralrats Schweiz» samt den Personen, die mit ihnen sympathisieren oder kooperieren. Diese Personen verfolgen vor allem gesellschaftspolitische Aktivitäten und pflegen einen teils konfrontativen Austausch mit der Gesellschaft. Kleiner und deutlich isoliert von den beiden genannten Richtungen ist der Cluster von Personen mit Kontakten zu extremistischen Akteuren; in diesem Cluster besteht wenig Interesse an religiöser Bildung und am Austausch mit der Gesellschaft.

Neben diesen Clustern fand das Team mehrere Einzelpersonen und auch einzelne weitere Gruppen wie etwa eine Frauengruppe, die sich vorwiegend in sozialen Medien trifft und religiöser Bildung widmet. Des weiteren gibt es eine von Deutschland und Österreich aus bespielte Szene, die auf der Strasse und über Internetkanäle neue Interessenten anzusprechen versucht.

Bedürfnisse und Positionierungen

Anhand zahlreicher Passagen aus den geführten Interviews arbeitet das Forschungsteam heraus, dass eine Orientierung an der Salafiyya bestimmten Bedürfnissen (z.B. Identität, Gemeinschaft, klare Geschlechterrollen) entgegen kommt, insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die Religion erstmals für sich als bedeutsam entdecken. Da sich die Bedürfnisse und Lebenssituationen wandeln, kann auch die Attraktivität der Salafiyya wieder abnehmen. So ist es nicht selten, dass sich Personen nach Monaten oder Jahren der Zugehörigkeit zu einer Gruppierung von dieser distanzieren oder gänzlich vom Milieu der Salafis abwenden. Selten und somit keineswegs zwangsläufig ist die Orientierung an der Salafiyya ein Aspekt einer Radikalisierung.

Gegenüber dem Staat haben die meisten Salafis ein distanziertes, aber nicht feindseliges Verhältnis. Insbesondere anerkennen sie die Rechtsstaatlichkeit, die auch sie schützt. Im gesellschaftlichen Alltag sind sie allerdings oft herausgefordert, da ihr Wunsch, islamische Verhaltensregeln einzuhalten, auf das Unverständnis von Mitmenschen stösst, in einzelnen Fällen auch auf rechtliche Hindernisse. Gerade der Wunsch, die eigenen Kinder umfassend islamisch zu erziehen, lässt manche Salafis über die Auswanderung in ein islamisches Land nachdenken.

Da das Verhalten von Salafis Aussenstehende bisweilen irritiert und beunruhigt, hat das Forschungsteam seinem Bericht eine Reihe von Empfehlungen für die Allgemeinheit, für Fachstellen sowie für Moscheeverantwortliche angefügt.

Projektfinanzierung und Methoden

Das Forschungsprojekt wurde realisiert mit Mitteln der Universität Luzern sowie des Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus. Das Projektteam folgte einem religionswissenschaftlichen Ansatz und arbeitete mit den Methoden qualitativer empirischer Sozialforschung. Es kontaktierte Salafis sowie Personen in deren Umfeld, führte Interviews und wertete diese zusammen mit weiteren Quellen, insbesondere aus den sozialen Medien, systematisch aus.

Weitere Infos und Auskunft

Der Bericht ist dauerhaft online zugänglich unter zenodo.org/record/7586189.

Dr. Jürgen Endres, juergen.endres@unilu.ch, 041 229 56 89
Dr. Andreas Tunger-Zanetti, andreas.tunger@unilu.ch, 041 299 56 00, 079 368 71 37
Dr. Silvia Martens, silvia.martens@unilu.ch, 041 229 57 28