Analyse zur Burka-Debatte in der Schweiz

Am Zentrum Religionsforschung (ZRF) wurde eine Studie zu Fragen der Verhüllung realisiert. Diese beleuchtet zum einen die Praxis des muslimischen Gesichtsschleiers in der Schweiz und in Westeuropa und untersucht zum andern die Debatte darüber in Deutschschweizer Publikumsmedien.

Eine Frau mit einem Nikab, hier in London. (Bild: ©istock.com/Powerofflowers)

In der Schweiz tragen rund zwanzig bis dreissig, maximal drei Dutzend Frauen regelmässig einen Nikab. Dies ergab eine Umfrage des von Dr. Andreas Tunger-Zanetti, Koordinator des ZRF, Forscher und Dozent, geleiteten Autorenteams bei Schlüsselpersonen in der Schweiz. Beim Nikab handelt es sich um einen Schleier, der das komplette Gesicht bedeckt und nur die Augen frei lässt. Die Burka, ein Ganzkörperschleier mit eingelassenem Sichtfenster, ist nicht anzutreffen.

Selbstbestimmter Entscheid

Mit einer der Nikab-Trägerinnen konnte das Autorenteam – neben Tunger bestehend aus den Luzerner Religionswissenschaft-Studentinnen Cornelia Niggli, Asia Petrino, Noémie Marchon, Julia Meier und Lea Wurmet – ein Interview führen. Die Frau sieht sich zu ihrer Praxis durch Anschauungen aus dem Bereich der persönlichen Frömmigkeit motiviert, verbunden mit dem Wunsch, das eigene Äussere nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie entspricht damit dem Bild, das auch die wissenschaftliche Forschung in einzelnen anderen westeuropäischen Ländern zeichnet. Demnach sind Nikab-Trägerinnen grossmehrheitlich im Westen sozialisiert, durchschnittlich bis sehr gut gebildet und tragen den Nikab aus eigener Überzeugung. Ein grosser Anteil hat die islamische Religion erst in der Adoleszenz für sich entdeckt. Im öffentlichen Raum erfahren Nikab-Trägerinnen regelmässig verbale und teils auch physische Angriffe. Seit wegen der Corona-Pandemie Hygienemasken zum alltäglichen Anblick geworden sind, scheinen solche Anfeindungen abgenommen zu haben, so die Studie. Immer wieder komme es vor, dass Nikab-Trägerinnen ihre Praxis nach einigen Jahren aufgeben.

Im Grunde Reflexion über eigene Identität?

Andreas Tunger sagt: "Die öffentliche Debatte, die seit 2006 in Medien und Politik der Schweiz stattfindet, zeichnet demgegenüber zumeist pauschal ein Bild hilfloser, schlecht integrierter und vom Vater oder Ehemann zur Vollverhüllung gezwungener Frauen." Empirisch sei dies allerdings nicht gestützt. Eine diskursanalytische Untersuchung von zwei Themenseiten der Tagespresse und einer Diskussionssendung des Schweizer Fernsehens bringe weitere Muster zutage: "Es wird kaum je nach der Meinung von Nikab-Trägerinnen oder anderen Musliminnen oder Muslimen gefragt, abgesehen von einer Handvoll dezidierter Verbotsbefürworterinnen." Es offenbarten sich Unsicherheiten beim Thema Religion, dieses werde kaum angeschnitten; stattdessen erfolge eine undifferenzierte Anwendung von vermeintlichem Wissen über Geschlechterverhältnisse in islamisch geprägten Gesellschaften auf die eigene Gesellschaft. Die Debatte lebe stark von Bezügen auf frühere Diskursereignisse wie effektiv eingeführte Verbote oder abweichende Meinungen Prominenter. "Insgesamt entsteht der Eindruck einer Gesellschaft, die sich an einem austauschbaren Thema über Fragen der eigenen kollektiven und individuellen Identität klarzuwerden versucht", so Tunger. Mit der Untersuchung, die Anfang 2021 in Buchform herauskommt, möchte der Religionswissenschaftler zur Bereicherung der Debatte im Vorfeld der Abstimmung über ein nationales Verhüllungsverbot am 7. März beitragen.

Andreas Tunger-Zanetti; unter Mitarbeit von Cornelia Niggli, Asia Petrino, Noémie Marchon, Julia Meier und Lea Wurmet: Verhüllung – Die Burka-Debatte in der Schweiz. Zürich 2021 Informationen zum Buch